Blaubeertage (German Edition)
liebsten zu meiner Mom rennen, mich in ihre Arme werfen, ihr recht geben in all dem, was sie über reiche Jungs gesagt hat, und mich von ihr trösten lassen.
Wie erstarrt sitzt sie hinter der Kasse, als hätte sie auf mich gewartet. Bis auf ein paar beleuchtete Regale sind alle Lichter aus. Ihr Gesichtsausdruck ist fast genauso leblos wie der der Puppen, die sie umgeben.
»Es tut mir leid«, sagt sie. »Das war unfair von mir.«
»Sie waren heute Abend dort«, krächze ich. Mein Hals tut immer noch weh.
»Wer?«
»Deine Eltern.«
Erst ist es der Schock, dann die tiefe Erschütterung, die ihr Gesicht in sich zusammenfallen lässt. Ihr Kopf sinkt auf den Tresen. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, mich selbst zu bedauern, um Mitleid mit ihr zu haben. Ich rausche an ihr vorbei, die Treppe hoch und in mein Zimmer. Ich ziehe die Tür hinter mir zu.
Ich habe viele ramponierte Puppen in meinem Leben gesehen. Einigen fehlte nur ein Finger, andere hatten ausgerenkte Glieder oder gesprungene Schädel. Nichts davon lässt sich damit vergleichen, wie ich mich im Moment fühle. Es ist meine eigene Schuld. Ich hatte schon immer gewusst, dass er einer völlig anderen Lebensform angehört. Wie bin ich nur auf die Idee gekommen, dass ich dazugehören könnte?
Ich streife meine Klamotten ab, schlüpfe in eine Jogginghose, rolle mich dann auf meinem Bett zusammen und lasse endlich den Tränen freien Lauf, die sich in mir angestaut haben.
Es klopft leise an meiner Tür, aber ich ignoriere es. Was meine Mutter nicht davon abhält hereinzukommen. Warum auch? Ganz offensichtlich fehlt ihr ja jeglicher Respekt für meine Gefühle. Ich dränge die Tränen wieder zurück und versuche, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen. Sie setzt sich neben mich aufs Bett.
»Es gibt keine gute Erklärung dafür, warum ich dir verschwiegen habe, wer meine Eltern sind. Vermutlich hatte ich Angst, dass du dann ein Leben wie ihres führen wolltest. Dass ich dir nicht genug bieten könnte und dass du dich an sie wenden würdest für all die Dinge, die ich dir nicht bieten kann.«
Wenn sie mich in Ruhe gelassen hätte, hätte ich nichts mehr darüber gesagt, aber jetzt bin ich kurz davor, all meine Wut herauszuschleudern. »Warum hast du den Kontakt mit ihnen abgebrochen?« Ich rappele mich auf und setze mich hin. »Was haben sie dir getan?«
»Caymen, nein. Sie haben mich rausgeworfen. Mich auf die Straße gesetzt. In dem Punkt habe ich dir immer die Wahrheit gesagt. Aber inzwischen tut es mir leid. Das tut es wirklich. Ich hätte offener sein können. Ich war wütend auf meine Eltern und verletzt und stolz. Ich habe ihnen keine Chance gegeben, irgendetwas wiedergutzumachen, selbst wenn sie es gewollt hätten. Ich bin einfach abgehauen.«
»Und mir hast du ein furchtbar schlechtes Gewissen gemacht, weil ich Xander vor dir verheimlich habe. Du hast mir das Gefühl gegeben, nichts wert zu sein. Als würden Mrs Dalton und ihre Familie mich hassen.«
»Das tut mir sehr leid.«
»Mrs Dalton weiß, wer du bist? Das verstehe ich nicht.«
»Sie kennt die Geschichte, aber mir war nicht klar, dass sie auch meine Eltern kennt. Sie muss mein Geheimnis die ganze Zeit für sich behalten haben.«
»Ich weiß überhaupt nicht, ob ich dir je wieder vertrauen kann. Ich bin so wütend.«
»Das verstehe ich. Ich hoffe, dass es dir eines Tages gelingen wird, aber ich verstehe es.«
»Und Xander. Er ist nicht perfekt, aber er war nett und hat mich gut behandelt und du wolltest ihm nicht einmal eine Chance geben. Er ist nicht mein Vater. Und ich bin nicht du. Ich habe nicht vor, schwanger zu werden und durchzubrennen.«
Sie nickt. »Ich weiß.« Meine Mom fasst sich an ihren Bauch und atmet heftig ein.
»Was hast du?«
»Nichts, mir geht’s gut. Ich muss mich bloß …« Sie steht auf, schwankt ein bisschen und stützt sich dann an der Wand ab.
Ich stehe ebenfalls auf. »Du siehst wirklich nicht gut aus.«
»Ich sollte ins Bett.« Sie stolpert vorwärts und greift nach der Lehne meines Schreibtischstuhls.
»Mom. Irgendetwas stimmt mit dir nicht.«
Sie fasst sich wieder an den Bauch und eilt aus meinem Zimmer.
Ich folge ihr ins Badezimmer und sie schafft es gerade noch rechtzeitig bis zum Waschbecken, bevor sie sich übergibt. Das Waschbecken ist jetzt knallrot. »Mom! Ist das Blut?«
Sie wischt sich über den Mund und schmiert dabei Blut auf ihr Handgelenk. Dann hustet sie.
»Ist dir das schon mal passiert?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Okay, wir
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