Blaue Wunder
Die Welt hat ihn verloren. Jetzt ist er nur noch in meinem Herzen.» Und dann hat sie den Schlafanzug weggeschmissen und nie wieder um Opi geweint, zumindest nicht, wenn jemand dabei war.
Ich weiß, es ist schändlich, so zu denken, aber ist es nicht einfacher, einen verstorbenen Liebsten zu betrauern als einen, der ein paar Häuserblocks weiter die Versöhnung mit seiner Verlobten betreibt? «Ich wünschte, du wärst tot», sage ich böse in den Pullover hinein, «dann müsste ich nicht länger auf eine SMS von dir warten.» Natürlich schäme ich mich sofort für diesen Gedanken und beschließe, die Tatsache, dass Martin lebendig ist, für meine Zwecke zu nutzen. Ich werde ihm schreiben, ihm offen und ehrlich meine Gefühle schildern, ihm sagen, was er mir bedeutet hat, und ihm klar machen, dass ich unter gewissen Umständen durchaus bereit wäre, ihm noch eine zweite Chance zu geben.
«Unter gewissen Umständen» - was für eine Untertreibung! Meine Güte, wenn dieser Mann wüsste, was Elli Dückers alles getan hat, um ihn wiederzubekommen. Vor ein paar Tagen habe ich mir sogar, ich traue mich kaum, es zuzugeben, einen City Guide von Bielefeld gekauft. Martin würde mich dafür verachten - oder verehren. In jedem Fall würde er kapieren, dass ihn niemals wieder eine Frau mehr lieben wird als ich.
Ausgerechnet heute klingelt mein Handy ständig. Tina hat schon dreimal angerufen, Erdal zweimal. Jetzt steht «Mama» auf dem Display, auch schon zum zweiten Mal. Aber ich kann heute mit niemandem reden. Ich weiß genau, dass ich auf die Frage «Wie geht’s?» sofort in Tränen ausbrechen und mindestens hundert Stunden lang nicht wieder aufhören würde zu weinen. Jeder Anruf, der nicht von ihm ist, macht alles nur noch schlimmer. Jeder Mann, der mich auf der Straße anlächelt, macht alles nur noch schlimmer. Die Zeit heilt alle Wunden? Meine nicht. Meine werden immer größer. Mein Herz hat sich entzündet.
Ich habe gedacht, ich wüsste, wie Liebeskummer geht: Halte durch, es geht vorbei. Aber diesmal nicht. Du denkst, du wirst niemals wieder glücklich sein und lachen. Du denkst, dein Leben ist zu Ende. Du wünschst, dein Leben ist zu Ende und mit ihm die Schmerzen. Du glaubst, dass du nie wieder jemandem dein Herz schenken wirst, weil: Kaputte Sachen verschenkt man nicht. Jeder Sonnenstrahl verhöhnt dich, und jeder Regentropfen ist schmerzhaftes Mitleid aus dem Himmel. Nichts tut so unendlich weh wie die Liebe, wenn sie verloren geht.
Mein geliebter Martin,
ich schreibe dir, denn wenn ich dir schreibe, ist es fast so, als wärst du bei mir. Wenn ich dir schreibe, fühle ich mich dir nah, kann dich fast riechen, fast deine Stimme hören, und in meinen Gedanken bist du mir so nah, als ob ich nur den Arm ausstrecken müsste, um dich zu berühren. Du fehlst mir.
Immer und immer wieder denke ich über unseren letzten Abend nach. Ich hätte dich in dieser Situation nicht zu einer Entscheidung zwingen dürfen. Es wäre richtig gewesen, am nächsten Tag in Ruhe zu reden. Wir hätten eine Chance gehabt, wenn wir beide nicht so emotional reagiert hätten. Im ersten Moment war ich einfach nur verletzt. Gut, du hattest angenommen, deine Beziehung und damit auch deine Verlobung sind vorbei. Deshalb hast du mir nichts davon erzählt. Das finde ich nicht gut, aber ich kann es verstehen. Was ich aber nur schwer verstehen kann: Warum hast du mich verleugnet?
Warum hast du mich wie eine Betrügerin frierend auf der Dachterrasse stehen lassen, statt deiner Exverlobten die Wahrheit über uns zu sagen?
Aber ich will dir jetzt keine Vorwürfe machen. Du weißt ja selbst, was für eine entwürdigende Situation das war, für alle Beteiligten. Und es war, das muss ich zugeben, auch eine Situation, in der du dich eigentlich nicht richtig verhalten konntest. Das habe ich mittlerweile begriffen, und ich hätte dich nicht so unter Druck setzen sollen. Das tut mir Leid.
Ich möchte dich gerne wiedersehen. Weißt du, was ich am allerschönsten fand an der Zeit mit dir? Morgens aufzuwachen genau neben dem Mann, neben dem ich am liebsten aufwachen wollte. Du fehlst mir, aber das sagte ich ja bereits. Hättest du dich nicht längst bei mir gemeldet, wenn ich dir auch fehlen würde? Wolltest du dich vielleicht bloß nochmal schnell amüsieren, bevor du heiratest? Noch mal Wind und Wellen spüren, bevor es in den Ehehafen geht? Du hast mich ganz schön zum Narren gehalten. Und selbst jetzt kann ich nicht aufhören, mich deinetwegen zum
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