Blaue Wunder
besser sehen zu können.
«Lass dich überraschen. Und pass gut auf. Hier bekommst du Kenntnisse vermittelt, die dein Leben bereichern können.»
«Ist heute jemand zum ersten Mal hier?», fragte die Trainerin. Ich hob schüchtern die Hand.
«Hi, ich bin Conny. Wir sind in der Choreographie schon relativ weit fortgeschritten. Halt dich einfach an mich, dann kommst du schon rein. Oder hast du vielleicht woanders schon Erfahrungen in erotischer Bewegung gesammelt?»
«Verzeihung?»
«Na, auch egal. Also los: Are you ready for the most famous strip and dance class in the world? Three, four, five, sex! Move! Your! Ass!»
Fünf Minuten später sah ich mich im Spiegel über den Boden kriechen, meinen kreisenden Hintern in die Luft gestreckt. Ich sprang auf, fuhr mit beiden Händen über meinen Busen und meine Hüften, gab mir einen neckischen Klaps auf den Po und schmiss dann meinen Kopf zurück, um mein nicht vorhandenes hüftlanges Haar durch die Luft zu schleudern. Und das alles inmitten einer Herde von perfekt gebauten Strip-Elfen mit weichen Bewegungen und ausgeprägtem Tanztalent.
So was weiß man ja vorher nicht, aber hier stellte sich doch sehr schnell heraus, dass ich zum Beispiel kein ausgeprägtes Tanztalent habe. Vibrieren mit den Schultern? Sah bei mir aus, als wollte ich mir eine ausgekugelte Schulter wieder einrenken. Kleine, kreisförmige Bewegungen mit dem Po? Wirkten bei mir, als wolle ich mit aus- ufernden Schwenkbewegungen auf einen Hubschrauberlandeplatz aufmerksam machen.
Ich bin auch einfach nicht der Typ für Choreographien. Ich kann mir Schrittfolgen nur ganz schlecht merken und habe bisher noch jede Gruppe durcheinander gebracht, die sich in vorgeschriebener Weise in eine bestimmte Richtung bewegen wollte. Meine Güte, ich habe eben ein schlechtes Kurzzeitgedächtnis, und mein Körper ist nicht für Feinarbeit geschaffen. Ich bin eine Spitzenkraft auf dem Laufband, da geht es nicht um erotische Ausstrahlung und ansonsten immer schön geradeaus.
Es war ein Desaster. Der Kurs «Strip and Dance» entwickelte sich für mich immer mehr zu einem traumatischen Erlebnis.
Erdal warf mir zwar von der Seite aufmunternde Blicke zu, aber auch er musste sehen, was ich sah, wenn ich in den Spiegel schaute: Ein scharlachrotes Hängebauchschweinchen trampelte mitten durch eine Ansammlung rosiger Flamingos.
Erdal selbst machte seltsamerweise gar keine schlechte Figur. Trotz seiner eher breiten Statur bewegte er sich so grazil, dass er aussah wie ein echter Go-go-Boy.
Erst jetzt bemerkte ich die Dame, die mich aus der letzten Reihe heraus freundlich anschaute und mir in regelmäßigen Abständen zunickte. Ich drehte mich sofort weg und knetete energisch meine Brüste. Nichts ist entwürdigender, als wenn sich die dickste, älteste und hässlichste Teilnehmerin bei deinem Anblick gleich besser fühlt und dir ständig solidarische Blicke zuwirft.
Mir reichte es. Zu dem Lied «Girl I want to make you sweat» verließ ich hoch erhobenen Hauptes das Studio, deutete mit großer Geste auf meine Armbanduhr und sagte laut: «Sorry, Leute, aber ich habe noch Anschlusstermine.»
Aaaah! Wie herrlich! Ich mag das. Fühlt sich an, als säße man in einem mollig warmen, riesengroßen Champagnerglas. Statt nach Hause zu gehen, um mich dort wieder ausschließlich meiner schlechten Stimmung zu widmen, habe ich beschlossen, noch einen Abstecher in den Whirlpool zu machen. Es ist sehr unterhaltsam, aus der Deckung der bubbelnden Wanne heraus nackte Leute zu betrachten und Männern auf die Geschlechtsteile zu schielen.
Ich habe festgestellt, dass ich mittlerweile die älteren Exemplare eingehender begutachte. Männer meine ich. Ich interessiere mich für Typen, die ich noch vor fünf Jahren keines Blickes gewürdigt hätte. Die, bei denen die Ellenbogen allmählich anfangen, schrumpelig und lappig zu werden. Die, die ein kleines Bäuchlein vor sich herschieben und sich im Dampfbad gerne mal aus Versehen auf deinen Schoß setzen, weil die Sehkraft langsam nachlässt und sie dich für ein fleischfarbenes Muster auf der Sitzbank halten.
Natürlich ist mir klar, dass die Zwanzigjährigen besser aussehen, und ich habe auch bereits in mehreren Frauenzeitschriften gelesen, dass der Trend zum jüngeren Mann geht, aber ich fürchte, dass ich einfach nicht so fortschrittlich bin. Ich war immer der Meinung, ein Mann, der für mich in Frage käme, muss mindestens zehn Jahre älter sein. Als ich Mitte zwanzig war, erschienen mir die
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