Blaue Wunder
neigen, wenn ich die Klips zu lange trage. An Ohrlöcher ist bei mir natürlich überhaupt nicht zu denken. Dafür brauchte ich eine Vollnarkose im Krankenhaus mit anschließender Reha.»
Ich hatte den Eindruck, dass Super-Nucki ständig angewidert auf die Schmetterlingsbrosche starrte. Ich kam mir ja selbst jetzt damit extrem verkleidet vor. Ich musste zwischen Super-Nuckis lässigen, Bier trinkenden Freunden aussehen wie die Schulsprecherin eines wertkonservativen Mädcheninternats. Und Martin im mittelbraunen Anzug - meine Güte, er kam halt direkt von der Arbeit! - passte natürlich perfekt in das Bild.
Jetzt sagte Martin auch noch, auf das Karbonaden-Angebot zurückkommend, etwas säuerlich und von oben herab an Super-Nucki gewandt: «Das ist sehr freundlich, aber ich esse schon seit Jahren kein Schweinefleisch mehr.»
«Habt noch einen schönen Abend», sagte ich eilig in die Runde, machte eine rasante Kehrtwendung und ließ Martin keine andere Wahl, als mir im Laufschritt zu folgen.
«Na, da hat es aber einen ganz schön erwischt», sagte er, als er mich eingeholt hatte.
«Ich verstehe kein Wort.»
«Der Typ ist doch total verknallt.»
«Quatsch, Johann wollte bloß nett sein.»
«Ich meine den anderen, der mich angeschaut hat, als wolle er mich am liebsten mit grillen.»
«Das bildest du dir ein. Super-Nucki findet mich einfach nur spießig und peinlich. Ist mir aber auch egal. Der ist nun echt nicht mein Typ.»
«Glaub mir, ich erkenne einen verliebten Mann - schließlich bin ich selber einer.»
Ich schwieg und lächelte damenhaft, aber meine Innereien tanzten Polka, und mein Gehirn verwandelte sich in ein Sinfonieorchester. Jipiiiiieh! Gewonnen!
Keine zehn Minuten später lagen Martin und ich knutschend im Sand. Martin hatte, ganz die alte Schule, sein Sakko ausgebreitet, und ich hatte mich, ganz die neue Schule, direkt daneben in den Sand gesetzt, um meine Unkompliziertheit und lebendige Mädchenhaftigkeit zu betonen.
Wir sprachen fast nichts. Und schon gar nicht über uns. Aber das war auch nicht notwendig. Wir schauten der Sonne beim Untergehen zu, fummelten hier und da aneinander rum und genossen die ruhige Gewissheit, zusammenzugehören. Ich betrachtete den dunkler werdenden Himmel und richtete in Gedanken unser Apartment in Bielefeld ein.
Martin hatte von drei Zimmern und neunzig Quadratmetern erzählt, also durchaus eine Fläche, auf der man gut zu zweit leben konnte, natürlich nur so lange, bis die Kinder kommen würden. Seine Hamburger Wohnung wollte er zunächst untervermieten und sie erst aufgeben, wenn sein Geschäft gut laufen würde. Ich stellte mir vor, dass ich die erste Zeit mithelfen würde, schließlich verstehe ich ja auch ein bisschen was von Buchhaltung. Wir würden uns praktisch gemeinsam eine Existenz aufbauen. Was für Aussichten. Ich lächelte verträumt.
«Woran denkst du? Du siehst so glücklich aus.»
Mir war klar, dass ich mich jetzt nicht hinreißen lassen durfte.
«An nichts. Ich genieße einfach nur den Moment.»
Martin nahm meinen Kopf in seine Hände.
«Du bist eine ganz besondere Frau.»
Ich fand, da hatte er irgendwie Recht.
Den Abend verbrachten wir in einem italienischen Restaurant, tranken Wein, aßen Spaghetti, und ich sparte nicht am Käse und bestellte einen Nachtisch und kam mir sinnlich und nicht dicklich vor. Alles war wieder gut. Kurz überlegte ich, ob ich mich ärgern sollte, als Martin für uns beide eine Extraportion schwarze Oliven bestellte. Hatte ich ihm nicht ungefähr zehnmal gesagt, dass ich die schwarzen nicht mag? Ach, egal, wir hatten ja nun wieder alle Zeit der Welt, uns besser kennen zu lernen, unsere Marotten zu studieren und unsere Abneigungen und Vorlieben herauszufinden.
Ich liebe es, wenn jemand weiß, was ich gerne mag und was nicht. Um diese Vertrautheit beneide ich Paare, die lange zusammen sind und aufmerksam miteinander umgehen. Das blöde an langen Beziehungen ist ja oft, dass zu dem Zeitpunkt, wo man die Eigenarten des anderen gut genug kennen gelernt hat, man schon gar nicht mehr bereit ist, auf sie Rücksicht zu nehmen, und sie eben auch gar nicht mehr so niedlich findet wie in der Phase der ersten Verliebtheit.
Na ja, und viele Männer sind auch einfach nicht besonders aufmerksam, das muss man ganz deutlich sagen. Gregor hat mir bis zum Ende unserer Beziehung zu jedem Nikolaustag Marzipankartoffeln in die Pantoffeln gesteckt. Ich hasse Marzipan, übrigens die einzige Süßigkeit, der ich nichts abgewinnen
Weitere Kostenlose Bücher