Blaue Wunder
gleichmäßige Atmen des Mannes neben mir. Ich lächle in mein Kissen hinein und bin sicher, dass in diesem Moment in diesem Universum kein einziger Mensch glücklicher ist als ich.
Neben dem Bett liegt mein Schuh, halbhoch, spaziergehtauglich und dennoch elegant genug, um darin nicht wie ein kurzbeiniger Trampel daherzukommen. Die Schuhe sind aus einem SecondhandLaden geliehen, der einem Exfreund von Erdal gehört. Ich muss sie morgen wieder zurückgeben, aber sie haben ja nun auch ihren Zweck bestens erfüllt.
Der zweite Schuh, ich versuche mich zu erinnern, liegt vermutlich irgendwo im Flur, wo Martin und ich begonnen hatten, uns die Kleider vom Leibe zu entfernen. Kinder, es war wie im Film. Im Kino würde jetzt die ergreifende Schlussmusik einsetzen, und über das Bett mit den glücklichen Liebenden würde der Abspann laufen. Das hier ist mein ganz persönliches Happy End, der glückselige Schluss einer verwirrenden und schmerzhaften Liebesverwirrung und gleichzeitig der glückselige Beginn einer hoffentlich lang dauernden Liebesgeschichte. Ich hab’s geschafft!
Da Martin mich um halb sechs abholen wollte, war ich ab eins praktisch zu nichts anderem in der Lage, als alle halbe Stunde zur Toilette zu eilen, den Sitz meines Haars zu überprüfen, vorsichtig meine Foundation mit etwas transparentem Puder zu fixieren und meine nervöse Blase zu entleeren. In Sachen Schminke bin ich mittlerweile ein echter Profi. Erdal war es tatsächlich gelungen, Maurice dazu zu überreden, morgens um sieben mit seinem Plätteisen zu uns zu kommen, um mich rendezvoustauglich zu machen.
Ab fünf ließ ich meine Uhr keine Sekunde mehr aus den Augen und sagte mir innerlich Petras Rat aus ihrer letzten Mail wie ein indisches Mantra vor: «Du kannst nur gewinnen. Lass ihn das spüren. Er muss dich zurückgewinnen, nicht umgekehrt. Mach es ihm nicht zu leicht.»
Als Martin das Reisebüro betrat, setzte mein Herz zunächst aus, aber eine Sekunde später kam eine ungekannte Ruhe über mich, und ich kam mir ganz indisch vor. Heike Plöger, die gerade ihren Mantel anziehen wollte, wandte sich augenblicklich an Martin und sagte mit der sirupsüßen Stimme, mit der sie sonst unseren Chef fragt, wie es seiner entzückenden Gemahlin gehe, und das, ob schon jeder weiß, dass die beiden kurz vor der Scheidung stehen: «Womit kann ich Ihnen dienen?»
Martin schaute sie noch nicht mal an: «Danke, aber ich komme, um Frau Dückers abzuholen.»
Die Plöger sah mich an mit einer Mischung aus Beleidigtsein, Überraschung und Neid. Ich will nicht übertreiben, aber ich denke schon, dass dieser Moment zu einem der befriedigendsten in meinem Leben gehört.
Ich hatte mir fest vorgenommen, Martin nicht auf seine Verlobte oder die Szene auf der Dachterrasse anzusprechen. Den gesamten Themenkomplex Beziehung-Liebe-Zukunft wollte ich kein einziges Mal berühren. Dazu hatte mir auch Erdal geraten: «Der Mann rechnet grundsätzlich damit, dass die Frau darauf aus ist, ihm Probleme zu bereiten, meist in Form von Gesprächen, die er nicht führen will. Martin geht in diesem Moment davon aus, dass du ihm Vorwürfe machst, ihn zur Rede stellst und eine Entscheidung von ihm erwartest. Wenn du das alles sein lässt, wird er zunächst einfach nur dankbar sein. Ein wenig später ist er dann irritiert und schließlich total verunsichert, weil er beginnt zu befürchten, dass du ihn vielleicht gar nicht zurückhaben willst. Frauen, die Männer nicht unter Druck setzen, sind in der Regel nicht sonderlich an ihnen interessiert. Und so wird er irgendwann ganz von selbst auf das Thema kommen, das er eigentlich vermeiden wollte.»
Auf der Fahrt zur Elbe sprachen wir nicht viel, was auch daran lag, dass ich mir demonstrativ im Schminkspiegel die Lippen nachzog. Ich habe immer Frauen bewundert, die das in aller Öffentlichkeit tun, und Martin wollte ich damit nonverbal drei Botschaften übermitteln:
- Ich hatte im Büro weder Zeit noch Interesse, mich zu schminken.
- Küssen ist eher nicht angesagt, es sei denn, du bist bereit, dafür Opfer zu bringen und dir dabei den Mund zu verschmieren. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich lege mehr Wert auf rote Lippen als auf einen Kuss von dir.
- Aber natürlich will ich in deiner Gegenwart gut aussehen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass ich dich doch ein klitzekleines bisschen leiden kann.
Die ersten Minuten gingen wir verspannt nebeneinanderher und tauschten uns über die Schönheit der Umgebung aus. Es war wirklich
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