Blaue Wunder
ein herrlicher Abend, schon fast sommerwarm, am Elbstrand wurde gegrillt, und unser Weg war gespickt mit knutschenden Liebespaaren. Ich ergriff Martins Arm, hakte mich bei ihm unter und sagte: «Ich freue mich wirklich, dich wiederzusehen. Jetzt erzähl doch mal von deiner Geschäftsreise und deinen Plänen in Bielefeld.»
Ich konnte geradezu spüren, wie sich Martin entspannte. Und während er von günstigen Massage-Duschköpfen aus Bulgarien schwärmte, nahmen wir fast automatisch allmählich unsere vertraute Pärchenhaltung an. Er legte den Arm um meine Schultern, und ich schlang meinen Arm um seine Hüften. Ich war überhaupt nicht mehr aufgeregt, und es gelang mir, den unproduktiven Gedanken an Astrid zu verdrängen. Ich legte meinen Kopf zaghaft an Martins Schulter, er zog mich etwas näher an sich, und alles wäre total märchenhaft gewesen, wenn nicht etwas geschehen wäre, was mir eigenartigerweise extrem unangenehm war: Ich schloss, wie man das in seligen Momenten üblicherweise tut, kurz die Augen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich Super-Nucki.
Er saß am Strand mit ein paar Freunden, darunter Johann, dem ich schon mal vorgestellt worden war. Ich war ganz sicher, dass Super- Nucki uns gesehen hatte, auch wenn er sich jetzt mit dem Grill beschäftigte. Ich wunderte mich selbst, wie recht es mir war, nicht mit ihm reden zu müssen, und ich stellte an mir ein schlechtes Gewissen fest, von dem ich überhaupt nicht wusste, woher es kam.
Wir waren schon fast an Super-Nucki vorbei, als Johann mich entdeckte und rief: «Elli, hallo, kommt doch rüber!»
Was hätte ich tun sollen? Hörschaden vortäuschen und weitergehen?
Ich zog Martin Richtung Grill, nicht ohne vorher seinen Arm von meiner Schulter zu entfernen. Das erschien mir angemessener.
«Hallo», sagte ich mürrisch in die Runde.
Freundliches Kopfnicken. Außer von Super-Nucki. Der schaute unbeteiligt in seine Bierdose.
«Da kriegst du als Neu-Hamburgerin ja mal direkt einen Eins-a- Frühsommer geboten.»
Johann war offensichtlich um Auflockerung der Stimmung bemüht.
«Mmmh.»
Ich wollte das Gespräch erst gar nicht in Gang kommen lassen.
«Ja, das stimmt», schaltete sich leider Martin ein, «der Mai ist in Hamburg immer besonders schön.»
«Wie bitte? Letztes Jahr hat es den ganzen Mai geschifft wie Sau», erwiderte kampflustig Super-Nucki. Alle schauten ihn einigermaßen überrascht an.
«Aber dafür war der Juni wieder schön», stammelte Johann. «Wollt ihr vielleicht ein Bier oder.»
«Das Bier ist knapp», fuhr Super-Nucki dazwischen.
«Äh, dann vielleicht eine Nackenkarbonade? Die ersten müssten doch gleich durch sein, oder?»
«Das dauert noch, und ich nehme nicht an, dass die beiden hier noch lange rumstehen wollen.»
«Stimmt, wir müssen wirklich weiter», sagte ich verschüchtert.
Was war der Typ denn auf einmal so abweisend zu mir? Gerade hatte ich mich getraut, mir überhaupt vorzustellen, dass einer wie Super-Nucki Gefallen an mir finden könnte, und jetzt das. Mir wurde klar, dass Super-Nucki sich vor seinen Freunden für mich schämte: zu dick, zu alt, zu uncool. Ich schaute betreten an mir herunter. Ich war sicher, dass ich mit meiner Klamottenwahl Martins Geschmack ziemlich genau getroffen hatte. Er liebt weiße Blusen. Und mich stören sie nicht. Gut, die Brosche mit der Perle und dem kleinen Schmetterling hätte ich mir wahrscheinlich nicht freiwillig angeschafft, aber Martin war sie gleich positiv aufgefallen. Schon im Auto hatte er sie lobend erwähnt.
Erdal hatte das Schmuckstück vor ein paar Jahren von seiner türkischen Omi geschenkt bekommen. Nachdem er ihr schonend seine Homosexualität gebeichtet hatte, war sie nach kurzer Bedenkzeit total begeistert gewesen. Sie war offensichtlich der Ansicht, ein schwuler Mann sei im Grunde genommen dasselbe wie eine Frau und solle auch als solche behandelt werden.
Da sie sich schon immer eine Enkelin gewünscht hatte, freute sie sich sehr und schenkte Erdal seither Schmuck zu den Festtagen und brachte ihm das Sticken bei. Wenn er sie besuchte, saßen die beiden nebeneinander auf dem Sofa, stickten Pferdeköpfe auf Nackenrollen und tauschten sich über ihre Krankheiten aus.
«Solange sie mir keine Still-BHs aufdrängt, ist mir das recht», hatte Erdal gesagt, «und die Bernstein-Ohrklips in Delphin-Form trage ich ab und zu tatsächlich ganz gerne. Wobei ich da ein bisschen aufpassen muss, weil meine Ohrläppchen sehr sensibel sind und zu schlimmen Rötungen
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