Blauer Montag
ohne dass der Schwimmer sich bewegt, und es ist trotzdem ein guter Tag. Deswegen bleibe ich auch gerne hier sitzen und trinke Ihren Tee und esse Ihre Kekse, wenn Sie wollen. Allerdings wird Ihnen das nicht helfen, diesen Jungen zu finden.«
Karlsson blickte über Reeves Kopf hinweg auf die Wanduhr.
Er beobachtete, wie sich der zweite Zeiger über das Zifferblatt bewegte. Plötzlich war ihm übel, und er musste heftig schlucken.
»Ich hole Ihnen Ihren Kaffee«, erklärte er.
»Tee«, sagte Reeve.
Karlsson verließ den Raum. Seine Kollegin Yvette Long stand schon bereit, um seinen Platz im Verhörraum zu übernehmen. Fast im Laufschritt eilte Karlsson raus auf den Hinterhof, der bisher als Parkplatz gedient hatte. Nun entstand hier ein Anbau. Gierig saugte er die kalte Luft ein, als wollte er sie in großen Schlucken trinken. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr: sechs Uhr. Es kam ihm vor, als würde die Zeit wie mit Krallen an ihm kratzen. Aus einem beleuchteten Zimmer blickte ein Gesicht zu ihm heraus. Einen Augenblick glaubte er, darin das Gesicht des Mannes zu erkennen, den er gerade verhört hatte, doch dann begriff er, dass es sich um dessen Zwillingsbruder handelte, Alan. Er ging wieder hinein und bat einen Beamten, den Tee für Reeve zu holen. Er selbst begab sich ins Untergeschoss. Als er den Raum betrat, in den man Terry gebracht hatte, stritt sie gerade mit einer Polizistin. Die Beamtin wandte sich um. »Sie will hier rauchen.«
»Tut mir leid«, sagte Karlsson an Terry gewandt, »die Vorschriften sind nun mal so. Sie wissen schon, Gesundheitsschutz und Sicherheit.«
»Kann ich draußen eine rauchen?«, fragte sie.
»Gleich. Erst müssen wir uns noch ein bisschen unterhalten.«
Er ließ sich nieder und betrachtete sie. Über ihrer Jeans trug Terry eine glänzende, neongrüne Bomberjacke. Zwischen dem Saum der Jacke und dem Bund ihrer Jeans quoll eine weiße Speckrolle hervor. Karlsson erhaschte einen Blick auf den Rand einer Tätowierung. Irgendetwas Orientalisches. Er zwang sich zu einem freundlichen Lächeln. »Wie lange sind Sie und Ihr Mann denn schon zusammen?«, fragte er.
»Was soll die Frage?«
»Hintergrundinformation.«
Sie presste einen Moment die Handflächen aneinander und rieb sich dann nervös die Finger. Offenbar hielt sie es ohne Zigarette kaum noch aus. »Schon immer, wenn Sie es genau wissen wollen. Und jetzt fragen Sie einfach, was Sie fragen müssen.«
Karlsson zeigte ihr das Foto des Jungen. Sie betrachtete es, als handelte es sich dabei um eine bedeutungslose Kritzelei. Als er ihr das Foto von Joanna Vine vorlegte, machte sie sich kaum die Mühe, einen Blick darauf zu werfen. Karlsson erzählte ihr vom Verschwinden Katherine Ripons, aber sie schüttelte nur den Kopf.
»Die sind mir alle drei nicht über den Weg gelaufen.«
Als er sie daraufhin fragte, was sie am dreizehnten November gemacht habe, schüttelte sie erneut den Kopf. »Keine Ahnung.« Sie hatte etwas Schwerfälliges und zugleich Unzugängliches an sich, das Karlsson wütend machte. Er spürte, wie sich seine Brust vor Ungeduld verkrampfte. Am liebsten hätte er Terry geschüttelt.
»Als wir zu Ihnen ins Haus kamen, hatten Sie gerade einen Raum im ersten Stock frisch gestrichen. Warum?«
»Der Raum hatte es eben nötig.«
»Mit jeder Minute, die vergeht«, erklärte er, »wird die Lage ernster. Aber es ist noch nicht zu spät. Wenn Sie sich dazu entschließen, mit uns zusammenzuarbeiten, tue ich alles in meiner Macht Stehende, um Ihnen zu helfen. Ich kann Ihnen wirklich helfen, und Dean auch, aber dafür müssen Sie mir sagen, was Sie über die vermissten Personen wissen.«
»Die sind mir nicht über den Weg gelaufen.«
»Falls Ihr Mann etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hat und Sie ihm eine Hilfe sein wollen, dann sollten Sie jetzt besser mit der Wahrheit herausrücken.«
»Die sind mir nicht über den Weg gelaufen.«
Mehr konnte er ihr nicht entlocken.
Karlsson fand Frieda in der Cafeteria. Zuerst hatte er den Eindruck, dass sie etwas schrieb, aber als er näher kam, begriff er, dass sie zeichnete. Sehr gekonnt hatte sie auf ihrer Papierserviette das halb volle Wasserglas verewigt, das vor ihr auf dem Tisch stand.
»Sie machen das gut«, bemerkte er.
Als sie hochblickte, sah er, wie müde und blass sie wirkte. Fast schon durchsichtig. Plötzlich hatte er das Gefühl, auf der ganzen Linie versagt zu haben, und wandte den Blick ab.
»Sehen Sie Ihre Kinder an Weihnachten?«, fragte
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