Blauer Montag
war ich auch schon zu Hause, bereit fürs Wochenende.«
»Wo haben Sie zu der Zeit gearbeitet?«
Reeve zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich arbeite mal hier, mal da. Ich bin mein eigener Chef. Das behagt mir am besten. Da kann einen wenigstens keiner verarschen.«
»Vielleicht könnten Sie sich ein bisschen mehr bemühen, sich zu erinnern.«
»Wer weiß, womöglich habe ich an dem Tag sogar für mich selbst gearbeitet. Terry liegt mir ständig damit in den Ohren, dass ich das Haus renovieren soll. Frauen!«
»Heißt das, Sie waren zu Hause?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«
»Mr. Reeve, wir werden alle Ihre Nachbarn befragen – jeden, der Sie an dem Tag gesehen haben könnte. Vielleicht wären Sie so freundlich, etwas genauere Angaben zu machen.«
Reeve kratzte sich mit gespieltem Ernst am Kopf. »Bei uns in der Gegend gibt es nicht viele Nachbarn«, bemerkte er, »und sehr gesellig sind wir auch nicht.«
Karlsson ließ sich zurücksinken und verschränkte die Arme. »Kommen wir zu Katherine Ripon. Sie ist fünfundzwanzig Jahre alt und wurde zum letzten Mal gesehen, als sie in Cambridge losfuhr, um zwei Adressen aufzusuchen. Eine davon war die Ihre.«
»Wer ist die Frau?«
»Eine Wissenschaftlerin. Sie wollte mit Ihnen über eine Art Forschungsprojekt sprechen, und nun ist sie verschwunden.«
»Worum geht es denn bei dem Projekt, über das sie mit mir sprechen wollte?«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Nein.«
»Wir werden uns auch mit Ihrer Frau unterhalten.«
»Sie ist genau wie ich in der Lage, Nein zu sagen.«
»Unser Durchsuchungsbefehl für Ihr Haus ist immer noch gültig.«
»Sie haben es doch schon durchsucht.«
»Wir durchsuchen es noch mal.«
Die Andeutung eines Lächelns huschte über Reeves Gesicht. »Ich kenne das Gefühl. Kein schönes Gefühl, was? Wenn man etwas verloren hat und vor lauter Verzweiflung anfängt, überall dort, wo man schon gesucht hat, noch einmal zu suchen.«
»Außerdem werden wir uns alle vorhandenen Videoaufzeichnungen ansehen. Wenn sie in Ihrer Gegend war, finden wir das heraus.«
»Wie schön für Sie«, antwortete Reeve.
»Falls Sie uns also etwas zu sagen haben, tun Sie das am besten gleich.«
»Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
»Wenn Sie uns verraten, wo der Junge ist«, fuhr Karlsson unbeirrt fort, »dann können wir einen Deal aushandeln. Wir können dafür sorgen, dass Sie mit einem blauen Auge davonkommen. Und falls er tot ist, können Sie zumindest dieser quälenden Ungewissheit ein Ende setzen. Denken Sie an die Eltern!«
Reeve zog ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich lautstark. »Gibt es hier keinen Mülleimer?«, fragte er.
»Nein«, antwortete Karlsson, »hier drin nicht.«
Reeve legte das zusammengeknüllte Taschentuch auf den Tisch.
»Wir wissen, dass Sie in die Rolle Ihres Zwillingsbruders geschlüpft sind«, erklärte Karlsson. »Warum haben Sie das getan?«
»Was getan? Ich habe doch nur ein paar Blumen verschickt.« Wieder huschte dieses angedeutete Lächeln über sein Gesicht.
»Wahrscheinlich bekommt sie sonst nicht so viele Blumen. Frauen mögen Blumen.«
»Ich kann dafür sorgen, dass Sie hierbleiben.«
Reeve sah ihn nachdenklich an. »Vermutlich sollte ich jetzt wütend werden und nach einem Anwalt verlangen.«
»Wenn Sie einen wollen, können wir einen für Sie organisieren.«
»Wissen Sie, was ich wirklich will?«
»Was?«
»Eine Tasse Tee. Mit Milch und zwei Würfeln Zucker. Und vielleicht einen Keks dazu. Was die Sorte betrifft, bin ich nicht wählerisch. Ich mag alle Sorten: Kekse mit Vanillecreme genauso wie Ingwerplätzchen oder Schokokekse.«
»Das ist hier kein Café.«
»Aber wenn Sie mich hierbehalten wollen, müssen Sie mir was zu essen geben. Tatsache ist, dass Sie mein Haus bereits durchsucht und nichts gefunden haben. Nun haben Sie mich hierhergebracht und gefragt, ob ich das Kind und die Frau gesehen habe, und ich habe Nein gesagt. Damit ist die Sache für mich erledigt. Wenn Sie trotzdem wollen, dass ich hier sitzen bleibe, dann tue ich das. Und wenn Sie mich die ganze Nacht und den ganzen morgigen Tag hier sitzen lassen wollen, dann bleibe ich eben sitzen, sage aber immer noch Nein. Für mich ist das kein Problem, ich habe Geduld. Das lernt man beim Fischen. Gehen Sie auch gerne zum Fischen?«
»Nein.«
»Ich fahre am liebsten hoch zu den Stauseen. Ich spieße einen Mehlwurm auf den Haken, werfe ihn rein und setze mich einfach hin. Manchmal sitze ich da den ganzen Tag,
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