Blauer Montag
sie gerade erst aufgewacht. Sie setzte sich zu ihnen an den Tisch. Reuben fing Friedas Blick auf und nickte fast unmerklich in Richtung Josef. Die Frau streckte Frieda die Hand hin. »Ich bin Sofia«, sagte sie mit einem Akzent, den Frieda nicht recht einordnen konnte.
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W ie immer?«, fragte Alan. »Sie wollen, dass ich einfach darauflosrede?«
»Nein«, entgegnete Frieda, »heute möchte ich mit Ihnen über ein besonderes Thema sprechen. Über Geheimnisse.«
»Was das betrifft, habe ich jede Menge zu bieten. Wie sich gerade herausstellt, hatte ich von den meisten Geheimnissen in meinem Leben selbst keine Ahnung.«
»Solche Geheimnisse meine ich nicht. Ich meine solche, von denen Sie wissen .«
»Welche Art Geheimnisse?«
»Was ist beispielsweise mit denen, die Sie vor Carrie haben?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Jeder Mensch braucht Geheimnisse«, antwortete Frieda, »sogar in einer ganz engen Beziehung. Man braucht persönlichen Freiraum. Ein abschließbares Zimmer, einen Schreibtisch, vielleicht auch nur eine Schublade.«
»Sie meinen, eine Schublade, in der ich meine Pornohefte aufbewahre?«
»Zum Beispiel«, bestätigte Frieda. »Haben Sie eine solche Schublade?«
»Nein. Ich habe das nur gesagt, weil es so ein Klischee ist.«
»Klischees existieren, weil sie immer einen wahren Kern haben. Selbst wenn Sie tatsächlich in irgendeiner Schublade ein paar Pornohefte aufbewahren würden, wäre das doch kein Verbrechen.«
»Ich habe keine Pornohefte. Weder in einer Schublade noch in einer Schachtel, und auch nicht im Garten vergraben. Ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen. Es tut mir leid, wenn
ich Sie enttäuschen muss, aber ich habe vor Carrie keine Geheimnisse. Ich habe ihr sogar ausdrücklich gesagt, dass sie jederzeit einen Blick in meine Schubladen, meine Post oder meine Brieftasche werfen darf. Ich habe vor ihr nichts zu verbergen.«
»Vielleicht ist ›Geheimnis‹ das falsche Wort. Lassen Sie es mich anders nennen«, sagte Frieda. »Was mir vorschwebt, ist eine Art andere Welt, in die Sie sich zurückziehen können. Nennen wir es mal ein Hobby. Viele Männer haben ein Hobby und einen besonderen Raum, in den sie gehen können, um es auszuüben. So eine Art Zufluchtsort, ein Refugium. Sie verschwinden in ihren Schuppen und bauen Flugzeugmodelle oder die Tower Bridge aus Zündholzern.«
»Sie sagen das, als wäre es etwas Dummes.«
»Ich versuche nur, es möglichst harmlos klingen zu lassen. Ich versuche herauszufinden, wie Sie sich Ihren persönlichen Freiraum schaffen. Haben Sie einen Gartenschuppen?«
»Ich weiß zwar nicht, worauf Sie hinauswollen, aber ich habe tatsächlich einen Schuppen, allerdings mit Carrie zusammen. Ich habe ihn selbst gebaut und bin gerade erst damit fertig geworden. Wir bewahren dort ein paar Werkzeuge auf und mehrere Kisten mit irgendwelchem Krimskrams. Der Schlüssel hängt neben der Tür, durch die man in den Garten gelangt. Wir haben beide Zugang dazu.«
»Vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt, Alan. Mich interessiert lediglich, ob Sie ein stilles Plätzchen haben, an das Sie sich zurückziehen können, wenn Sie persönlichen Freiraum brauchen. Es geht mir überhaupt nicht darum, Ihnen irgendwelche Heimlichkeiten nachzuweisen. Ich möchte nur, dass Sie mir folgende Frage beantworten: Gab es in Ihrem Leben jemals einen Ort, der sich nicht dort befand, wo Sie lebten, und an den Sie sich zurückziehen konnten, um irgendeinem Hobby nachzugehen oder einfach nur allein zu sein? Einen Ort, von dem kein anderer Mensch etwas wusste? Wo niemand Sie finden konnte?«
»Ja«, antwortete Alan. »Als ich noch ein Teenager war, hatte ein Freund von mir, Craig, eine angemietete Garage, in der er einen Wagen und ein Motorrad stehen hatte. Da bin ich immer hin und habe mit ihm zusammen an dem Motorrad herumgebastelt. Zufrieden?«
»Genau so etwas habe ich gemeint«, antwortete Frieda. »War das für Sie so eine Art Zuflucht?«
»Man kann sich so ein Motorrad ja wohl kaum ins Wohnzimmer stellen, oder?«
Frieda atmete tief durch. Sie versuchte seine Feindseligkeit zu ignorieren. »Gab es noch etwas anderes in der Art?«
Alan überlegte einen Moment. »Mit neunzehn oder zwanzig habe ich viel an Automotoren herumgeschraubt. Ein Freund von mir hatte eine kleine Werkstatt unten in Vauxhall. Im Grunde war es nur ein Verschlag unter einer Eisenbahnbrücke. Ich habe einen Sommer lang für ihn gearbeitet.«
»Sehr gut«, sagte Frieda. »Ein Verschlag
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