Blauer Montag
richtige Art, mit meinen Problemen umzugehen.«
»Also gut, ich halte den Mund.«
»Ich bin übrigens am Überlegen, ob ich Paz bitten soll, mal mit mir auszugehen.«
»O nein, das tust du nicht.«
»Nein?«
»Nein. Außerdem würde Paz sowieso Nein sagen, falls du tatsächlich so blöd sein solltest, ihr die Gelegenheit dazu zu geben.«
Josef setzte sich zu ihnen an den Tisch. Er schüttelte eine Zigarette aus Reubens Schachtel. Frieda konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die lockere, vertraute Art, wie die beiden miteinander umgingen, amüsierte sie. Reuben warf sein Feuerzeug quer über den Tisch, und Josef fing es auf.
»Außerdem bin ich nicht hier, um über deine Probleme zu sprechen«, erklärte Frieda.
»Was steht an?«, fragte Reuben.
Frieda schob sich ein Stück Speck in den Mund. Wann hatte sie zum letzten Mal etwas gegessen? Sie sah Josef an. »Reuben war eine Weile mein Therapeut«, erklärte sie. »Während der Ausbildung muss man sich auch selbst analysieren lassen. Damals bin ich dreimal die Woche bei Reuben erschienen, gelegentlich sogar viermal, und habe mit ihm über mein Leben gesprochen. Reuben kennt alle meine Geheimnisse. Oder zumindest die, die ich ihm verraten habe. Deswegen war es auch so schwierig für ihn, als ich versucht habe einzuschreiten und ihm zu helfen. Das war, als würde ein Vater von seiner missratenen Tochter gesagt bekommen, was er zu tun hat.«
»Missraten?«, hakte Josef nach.
»Unartig«, antwortete Frieda. »Ungezogen, schnippisch, unbezähmbar.«
Reuben sagte nichts dazu, wirkte aber keineswegs sauer. In der Küche sah es fast so aus, als hinge Nebel in der Luft. Reuben und ein Bauarbeiter aus Osteuropa: Frieda konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt in einem derart verrauchten Raum gewesen war.
»Wenn man mit der Therapie aufhört«, fuhr sie fort, »dann ist das fast wie die Abnabelung von zu Hause. Es dauert eine Weile, bis man es schafft, seine Eltern als ganz normale Menschen zu sehen.«
»Hast du inzwischen wieder jemanden?«, fragte Reuben.
»Nein, aber ich sollte mir jemanden suchen.«
»Nun geht es um einen Freund«, sagte Josef.
»Nein«, stellte Frieda richtig. »Wenn Therapeuten fragen, ob es jemanden gibt, dann meinen sie damit einen Therapeuten. Freunde und Freundinnen, Ehemänner und Ehefrauen, die kommen und gehen. Die einzige wirklich wichtige Bezugsperson im Leben eines Menschen ist sein Therapeut.«
»Du klingst zornig, Frieda«, bemerkte Reuben.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich möchte dir eine Frage stellen. Nur eine einzige Frage, dann gehe ich wieder.«
»Lass hören«, sagte er. »Oder sollen wir uns lieber ins stille Kämmerlein zurückziehen?«
»Hier finde ich es ganz in Ordnung.« Frieda blickte auf ihren fast leeren Teller hinunter. »Mehr als jeder andere meiner Lehrer hast du mir eingebläut, dass es meine Aufgabe ist, Ordnung in das zu bringen, was im Kopf meiner Patienten vorgeht.«
»Das ist unbestreitbar deine Aufgabe.«
»Man kann nicht das Leben des Patienten ändern. Man muss einfach die Einstellung des Patienten zu seinem Leben ändern.«
»Ich hoffe, meine Ausführungen waren ein klein wenig differenzierter«, meinte Reuben.
»Aber was ist, wenn man einen Patienten als Mittel einsetzt, um einem anderen Menschen zu helfen?«, fragte Frieda.
»Das klingt ziemlich schräg.«
»Aber ist es falsch?«
Reuben ließ sich mit seiner Antwort Zeit. Erst einmal drückte er auf einer Untertasse seine Zigarette aus und zündete sich eine neue an. »Ich weiß, dass es sich hierbei nicht um eine Sitzung handelt«, sagte er schließlich, »aber du weißt ja aus eigener Erfahrung, wie man als Therapeut normalerweise reagiert, wenn einem ein Patient eine solche Frage stellt: Man weist den Patienten darauf hin, dass er die Antwort auf die Frage höchstwahrscheinlich selbst schon weiß, aber aus Angst vor der eigenen Courage versucht, die Verantwortung auf den Therapeuten abzuwälzen. War es die Mühe wirklich wert, die
ganze Strecke bis Primrose Hill zu marschieren, obwohl du genau gewusst hast, was ich sagen würde?«
»Es war mir trotzdem wichtig, es laut ausgesprochen zu hören«, antwortete Frieda. »Außerdem habe ich ein gutes Frühstück bekommen.«
Frieda hörte die Tür aufgehen und blickte sich um. Eine junge Frau kam herein. Eine sehr junge Frau. Sie war barfuß und trug nur einen Herrenmorgenmantel, der ihr einige Nummern zu groß war. Mit ihrem wild verwuschelten blonden Haar sah sie aus, als wäre
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