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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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Andere Familien machen das auch so. Sie öffnen ihre Geschenke und hängen eine Weile gemütlich herum. Ab dem späten Nachmittag oder frühen Abend wird dann geschlemmt bis zum Umfallen. So könnten wir es auch machen.«
    »Ja.«
    Sie zog ihre Hausschuhe aus. Das Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt, schlüpfte sie aus Rock und Strumpfhose.
    »Wir bringen den Sekt mit, hat Mum gesagt. Das ist ihr Beitrag. Was ist mit Knallbonbons?«
    Frieda musste an das denken, was Alan zum Abschied gesagt hatte, und riss sich zusammen. »Ich besorge die Knallbonbons«, erklärte sie in entschiedenem Ton, »und es wird bestimmt keinen Truthahn geben.«
    »Was denn …«
    »Lass dich überraschen.«
     
    Bevor sie aufbrach, rief sie bei Reuben an. Josef ging ans Telefon. Im Hintergrund lief laute Musik. »Hättest du Lust, mit Reuben bei mir Weihnachten zu feiern?«, fragte sie ohne Einleitung.
    »Das haben wir doch schon besprochen.«
    »Wie bitte?«
    »Wir haben doch abgemacht, dass du mir ein englisches Weihnachtsessen kochst. Truthahn und Plumpudding.«

    »Ich habe mir das eigentlich ein bisschen anders vorgestellt. Vor allem das mit dem Kochen. Was gibt es denn bei euch in der Ukraine zu Weihnachten?«
    »Es wäre mir eine große Ehre, für meine Freunde zu kochen. Zwölf Speisen.«
    »Zwölf? Nein, Josef. Eine reicht.«
    »Bei mir zu Hause müssen es zwölf sein.«
    »Aber das ist zu viel.«
    »Es ist nie zu viel.«
    »Wenn du meinst«, entgegnete Frieda skeptisch. »Ich dachte an etwas ganz Einfaches. Fleischbällchen oder so. Ist das nichts Ukrainisches?«
    »Kein Fleisch. An dem Tag essen wir nie Fleisch. Fisch ist gut.«
    »Vielleicht bringst du Reuben dazu, dass er dir hilft. Eine andere Frage: Was machst du gerade?«
    »Ich muss einkaufen. Für mein Weihnachtsessen.«
    »Ich bezahle. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Würdest du vorher noch einen Spaziergang mit mir machen, Josef?«
    »Draußen ist es nass und kalt.«
    »Bestimmt nicht so kalt wie in der Ukraine. Ich könnte ein zweites Paar Augen gebrauchen.«
    »Wo willst du denn mit mir hingehen?«
    »Wir treffen uns vor der U-Bahn-Station. Reuben kann dir sagen, wie du da hinkommst.«
     
    Frieda schlug den Mantelkragen hoch, um ihr Gesicht vor dem Wind zu schützen.
    »Deine Schuhe sind nass«, sagte sie zu Josef.
    »Die Füße auch«, entgegnete er. Er trug eine dünne Jacke, die Frieda irgendwie bekannt vorkam. Vermutlich gehörte sie Reuben. Handschuhe hatte er keine, dafür aber einen leuchtend roten Schal, den er sich mehrmals um den Hals und die untere Gesichtshälfte geschlungen hatte, sodass seine Stimme sehr gedämpft
klang. Sein vom Schneeregen feuchtes Haar klebte ihm platt am Kopf.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte sie. Er quittierte das mit seiner typischen, lustigen kleinen Verbeugung, wobei er gleichzeitig einen Schritt zur Seite trat, um einer Pfütze auszuweichen.
    »Worum geht es?«, fragte er.
    »Wir drehen eine Runde durch London. Das mache ich oft. Es hilft mir beim Nachdenken. Normalerweise ziehe ich alleine los, aber dieses Mal wollte ich Gesellschaft. Natürlich keine beliebige. Ich dachte, du könntest mir vielleicht helfen. Die Polizei sucht hier überall nach Matthew und Kathy. Oder nach ihren Leichen. Ich hatte das Bedürfnis, ebenfalls herzukommen. Einfach nur, um ein Gespür für die Gegend zu kriegen.«
    Sie musste an Alans Worte denken. Mit Brettern vernagelte Gebäude, leer stehende Werkstatträume unter irgendwelchen Brücken, angemietete Garagen, Verschläge, Tunnels. Irgendetwas in der Art. Denk dich in den Mann hinein. Stell dir vor, wie er sich gefühlt haben muss, als er voller Panik nach einem Versteck suchte. Nach einem Ort, wo niemand hinkommt. Einem Ort, wo man es nicht hört, wenn jemand um Hilfe ruft. Unschlüssig ließ sie den Blick über die Wohnungen und Häuser schweifen, von denen einige weihnachtlich beleuchtet und geschmückt waren. Sie betrachtete die Läden, durch deren weit geöffnete Türen Wärme auf die winterlichen Straßen strömte, den stockenden Verkehr und die vielen Leute, die mit prallen Tüten voller Geschenke und Essen vorbeiliefen. »Irgendwo müssen sie ja sein. Hinter dicken Wänden oder unter unseren Füßen. Ich weiß es ja auch nicht. Wir gehen erst mal gemeinsam los und trennen uns dann. Ich habe mir so eine Art Route überlegt.«
    Josef nickte.
    »Ein, zwei Stunden, dann kannst du losziehen und dein Essen kaufen.«

    Mit diesen Worten schlug Frieda ihren Stadtplan auf.

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