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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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mit Marmite, ein paar kleine Tomaten, eine Tasse Tee, einen Haferkeks und einen Apfel, den sie viertelte und entkernte. Sie trug den Teller ins Wohnzimmer und ließ sich im Sessel neben dem offenen Kamin nieder, wo sie bereits das Holz für ihr abendliches Feuer aufgerichtet hatte. Sie schloss einen Moment die Augen und wartete, bis sich die Müdigkeit in ihr gesetzt hatte. Dann aß sie langsam ihren Toast.
    Das Telefon klingelte. Zunächst ging sie nicht ran, aber das Band war nicht eingeschaltet, und der Anrufer – wer auch immer es sein mochte – gab einfach nicht auf. Schließlich hob sie doch ab.
    »Frieda, hier ist Paz. Alles in Ordnung bei dir? Warst du in der Wanne?«
    Frieda seufzte. Paz leitete die Verwaltung des Warehouse, bei dem es sich keineswegs um ein Lagerhaus, sondern um eine Klinik handelte, die Anfang der achtziger Jahre in die Räume eines ehemaligen Warenlagers gezogen war und daher diesen – damals durchaus progressiv klingenden – Namen angenommen hatte. Frieda hatte an der Klinik ein Praktikum gemacht und nach Abschluss ihrer Ausbildung weiter dort gearbeitet. Inzwischen saß sie im Aufsichtsrat. Wenn Paz sie zu Hause anrief, verhieß das nichts Gutes.

    »Nein, ich war nicht in der Wanne. Es ist mitten am Tag.«
    »Wenn ich zu Hause wäre, würde ich sehr wohl mitten am Tag ein Bad nehmen. Vor allem montags. Ich hasse Montage. Du auch?«
    »Eigentlich nicht.«
    »Jeder hasst diesen Tag. Es ist der Tiefpunkt der Woche: Wenn am Montagmorgen der Wecker klingelt und es draußen noch dunkel ist und man genau weiß, dass man sich aus dem Bett hieven und den ganzen Mist von vorn beginnen muss.«
    »Hast du mich wirklich nur angerufen, um mit mir darüber zu reden, wie schrecklich du den Montag findest?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich wünschte, du würdest dir ein Handy zulegen.«
    »Ich will aber kein Handy.«
    »Du Dinosaurier. Bist du am Donnerstag im Haus?«
    »Ich habe einen Termin mit Jack.« Jack arbeitete als Praktikant an der Klinik, und Frieda fungierte als seine Tutorin.
    »Könntest du ein bisschen früher kommen?«, fragte Paz. »Wir hätten gern deinen Rat.«
    »Den kann ich dir auch am Telefon geben. Worum geht’s?«
    »Das sage ich dir lieber persönlich«, antwortete Paz.
    »Es geht um Reuben, stimmt’s?«
    »Nur ein kleines Gespräch. Und nachdem du und Reuben …« Sie führte den Satz nicht zu Ende und ließ damit eine ganze Geschichte unausgesprochen.
    Frieda, die sich in etwa vorstellen konnte, was ablief, biss sich auf die Lippe. »Wann soll ich denn kommen?«
    »Ginge es um zwei?«
    »Bis zwei habe ich einen Patienten. Ich schaffe es erst gegen halb drei. Ist das in Ordnung?«
    »Perfekt.«
    Sie wandte sich wieder ihrem Toast zu, der mittlerweile kalt war. Sie wollte nicht über die Klinik nachdenken, und erst recht nicht über Reuben. Ihre Aufgabe bestand darin, sich um
das Chaos und den Schmerz in den Köpfen anderer Leute zu kümmern – aber nicht um sein Chaos und seinen Schmerz. Er war für sie tabu.
     
    Joe Franklin war ihr letzter Patient an diesem Tag. Seit sechzehn Monaten hatte er jeden Dienstagnachmittag um zehn nach fünf einen Termin bei ihr, auch wenn er es manchmal nicht schaffte oder erst auftauchte, wenn seine Zeit gerade abgelaufen war. Frieda wartete jedes Mal unverdrossen und nutzte die Gelegenheit, ihre Aufzeichnungen auf den neuesten Stand zu bringen, oder kritzelte ein wenig auf ihrem Block herum. Niemals ging sie, ehe seine ganzen fünfzig Minuten vorüber waren. Sie wusste, dass sie der einzige wirkliche Fixpunkt seiner Woche war, während alles Übrige wie bei einem Kaleidoskop durcheinanderpurzelte. Einmal hatte er zu ihr gesagt, dass nur der Gedanke an ihre schlanke, aufrechte Gestalt in dem großen roten Sessel ihn dazu bringe weiterzumachen, selbst wenn er es des Öfteren nicht zu ihr schaffe.
    An diesem Tag verspätete er sich um fünfunddreißig Minuten. Mit leerem Blick kam er über die Schwelle gestolpert, als hätte er gerade einen Unfall überlebt und stünde noch unter Schock. Sein Mund bewegte sich, aber es kamen keine Worte heraus. Frieda sah, dass seine Schuhbänder offen herabhingen. Außerdem hatte er sein Hemd nicht richtig zugeknöpft, sodass der Bauch – erschreckend weiß – hervorblitzte. Seine Fingernägel waren zu lang und ein wenig schmutzig, sein blonder Haarschopf hätte ebenfalls eine Wäsche vertragen. Rasiert hatte er sich auch schon länger nicht mehr. Frieda nahm an, dass er mehrere Tage im Bett

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