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Blauer Montag

Blauer Montag

Titel: Blauer Montag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N French
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ein bisschen nachlässt. Falls das für Sie einen Sinn ergibt.«
    »Das tut es durchaus. Allerdings ist es nicht meine Aufgabe, Ihnen etwas als real vorzugaukeln, was nicht real ist, Alan«, erklärte Frieda.
    »Sie haben doch gesagt, jeder muss den roten Faden in der Geschichte seines Lebens finden.«
    »Wie wollen Sie denn mit Ihrer Geschichte weiter verfahren ?«
    »Carrie meint, wir könnten ein Kind adoptieren, aber das möchte ich nicht. Ich will keine Formulare ausfüllen und andere
Leute darüber entscheiden lassen, ob ich als Vater geeignet bin. Ich wünsche mir einen eigenen Sohn, nicht den eines anderen. Schauen Sie«, Alan zog seine Geldbörse aus der Jackentasche, »ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Er holte ein altes Foto heraus. »Hier. So stelle ich mir meinen Sohn vor.«
    Widerstrebend nahm Frieda die Aufnahme entgegen. Einen Augenblick fehlten ihr die Worte.
    »Sind Sie das?«, fragte sie schließlich und starrte dabei weiter wie gebannt auf den pausbäckigen kleinen Jungen, der in seiner kurzen blauen Hose neben einem Baum stand, einen Fußball unter dem Arm.
    »Ja, mit fünf oder sechs.«
    »Verstehe.«
    »Was verstehen Sie?«
    »Sie hatten sehr rotes Haar.«
    »Es begann schon grau zu werden, als ich noch keine dreißig war.«
    Rotes Haar, Brille, Sommersprossen. Sie empfand leichtes Unbehagen, und dieses Mal hielt sie damit nicht hinter dem Berg: »Sie haben auf dem Foto große Ähnlichkeit mit dem vermissten kleinen Jungen.«
    »Ich weiß. Natürlich weiß ich das. Er ist die Verkörperung meines Traums.«
    Alan sah sie an und versuchte zu lächeln. Eine einzelne Träne lief ihm übers Gesicht in seinen lächelnden Mund.
     
    Er durfte nichts essen. Das war ihm klar. Es war in Ordnung, Wasser zu trinken, warmes abgestandenes Wasser aus einer Flasche, aber essen durfte er nichts. Wenn er etwas aß, würde er nie wieder nach Hause zurückkehren können. Er würde für immer hier festsitzen. Grobe Finger drückten seine Kiefer auseinander. Man schob ihm etwas in den Mund, das er sofort wieder ausspuckte. Nur ein paar einzelne Erbsen blieben unten.
Er hustete und würgte, um sie wieder herauszubefördern, spürte jedoch, wie sie abwärtsglitten. Zählten ein paar Erbsen schon? Er kannte die Regeln nicht. In seiner Verzweiflung hatte er versucht, die Hand zu beißen, woraufhin die Hand ihn geschlagen hatte. Als er zu weinen anfing, schlug sie gleich noch einmal zu.
    Er war ein schmutziger Junge. Seine Hose wurde von seiner Pisse schon ganz steif und stinkig, und gestern Abend hatte er in die Ecke gekackt. Es war nicht mehr anders gegangen. Sein Bauch hatte innen so schlimm gebrannt, dass er das Gefühl gehabt hatte, sterben zu müssen. Er verwandelte sich allmählich in Flüssigkeit und Feuer. In seinem Inneren war alles am Zerfließen. Ihm war heiß und kalt zugleich. Alles tat weh und fühlte sich widerlich an. Obwohl er inzwischen wieder sauber war. Geschrubbt mit einer Bürste und abgespült mit brennend heißem Wasser. Rosa Haut, wund und empfindlich. Borsten an seinen Zähnen und seinem Gaumen. Einer seiner Zähne wackelte. Bald würde die Zahnfee kommen. Wenn er wach blieb, konnte er sie vielleicht sehen und ihr sagen, dass sie ihn retten solle. Aber sie würde ja gar nicht kommen, wenn er wach blieb. Das wusste er.
    Außerdem war da etwas Schreckliches auf seinem Haar. Schwarzes, klebriges Zeug, das scheußlich roch – wie wenn man an den Männern vorbeiging, die auf der Straße manchmal mit ganz großen Bohrern arbeiteten und dabei ein lautes, dröhnendes Geräusch machten, das einem bis in den Kopf drang. Sein Haar fühlte sich auf einmal ganz komisch an. Er war dabei, sich in jemand anders zu verwandeln. Hätte er jetzt einen Spiegel, würde er darin schon jemand anders sehen. Aber wen? Jemanden mit stechenden Augen und einem bösen Gesicht. Bald würde es zu spät sein. Er kannte die Worte nicht, die man sagen musste, um den Zauber zu bannen.
    Blanke Bretter. Hässliche grüne Wände. Geschlossene Jalousien. Eine Glühbirne, die an einer ausgefransten Kordel von
der Decke hing. Ein weißer Heizkörper, der ihm die Haut verbrannte, wenn er ihn berührte, und der nachts ächzte fast wie ein Tier, das auf der Straße im Sterben lag. Ein weißes Plastiktöpfchen mit einem Sprung. Wenn er es ansah, schämte er sich. Auf dem Boden eine Matratze mit dunklen Flecken darauf. Ein Fleck war ein Drache, ein anderer ein Land, auch wenn er nicht wusste, welches. Außerdem gab es noch einen Fleck,

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