Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
wäre das nicht möglich gewesen. So hat er sich dann woanders beworben, und es hat geklappt.«
Pia sah die beiden erwartungsvoll an, doch das Thema schien für sie erledigt zu sein. Dann fiel ihr ein, was sie mit Tom besprochen hatte, und sie fragte: »Wie geht es denn eigentlich Clarissa? Geht sie vormittags in den Kindergarten?« Inge ihr gegenüber entspannte sich etwas.
»Ja, jeden Vormittag. Ich versuche, ihren Tagesablauf so normal wie möglich zu gestalten. Aber sie fragt natürlich immer öfter nach ihrer Mutter.«
»Was sagst du ihr?«
»Dass ihre Mutter verreist ist und bald wiederkommt.«
»Armes Kind. Lügen. Schlechte Mutter, Marlene hätte niemals ... keine Verantwortung, nur ihr Vergnügen im Kopf ...«, murmelte Frieder leise. Er schien die Gegenwart der Polizei plötzlich vergessen zu haben. Seine großen roten Hände kneteten ein Geschirrhandtuch, das auf dem Tisch gelegen hatte, um den verschütteten Kaffee aufzuwischen. Inge warf ihm einen beunruhigten Blick zu. Auch Pia war alarmiert, denn Frieder Brinkmann schien kurz vor einem mentalen Zusammenbruch zu stehen. Sie warf Heidmüller einen bittenden Blick zu, sich des emotional aufgewühlten Mannes anzunehmen, und konzentrierte sich wieder auf Inge Brinkmann.
»Hat Clarissa ihr Kleid noch mal erwähnt?«
»Nein, ich habe es weggeworfen. Der Fleck ging nicht mehr raus.«
»Ich habe zwar keinen Vergleich, ich kenne nicht viele Kinder, aber Clarissa kommt mir manchmal übertrieben ängstlich und vorsichtig vor.«
»Sie reagiert vollkommen normal«, beeilte sich Inge Brinkmann zu versichern. Dann räumte sie ein: »Kinder sind halt unterschiedlich. Marlene war überhaupt nicht ängstlich. Ihr fehlten sogar manchmal die nötige Vorsicht und der Respekt im Umgang mit ihren Mitmenschen. Gerade Frieder ist sehr froh, dass Clarissa da völlig anders ist.«
»Hatte dein Mann zeitweise Probleme mit Marlenes Entwicklung?«, fragte Pia mit leiser Stimme, denn Heidmüller war es gelungen, Friedhold Brinkmann seinerseits in ein Gespräch zu verwickeln.
»Er war stolz auf sie, aber sie war ihm immer etwas zu wild und unabhängig. Im Studium, als sie schwanger wurde ohne passenden Mann und so, da fiel es ihm zeitweise schwer, sie so anzunehmen, wie sie ist. Inzwischen vergöttert er Clarissa an ihrer Stelle. Du darfst auf seine Wutanfälle nicht so viel geben.«
Heidmüller sah mit plötzlich erwachtem Interesse in den Garten. Laut sagte er: »Wir wollten doch noch einen Blick in den Garten werfen. Willst du mit Herrn Brinkmann eine Runde drehen. Du verstehst mehr von Botanik als ich.«
Gar nichts verstand sie. Was bezweckte Heidmüller damit? Sollte sie tatsächlich nachsehen, ob aconitinhaltige Pflanzen zu finden waren?
Herr Brinkmann erhob sich eifrig. Das Wort Garten schien eine Art Zauberwort zu sein. »Tatsächlich, Pia? Was kann ich dir zeigen?«
»Habt ihr eine Pflanze namens Blauer Eisenhut im Garten?«
»Ja – interessierst du dich für Pflanzengifte?«
Er führte sie in den Garten, scheinbar froh, der Konversation am Kaffeetisch entwischen zu können.
Bereitwillig zeigte er ihr, aus welchen Pflanzen man medizinische Wirkstoffe, Farben oder Gifte herstellen konnte, alles mit den dazugehörigen lateinischen Bezeichnungen. Pia hatte sich bisher wenig Gedanken darüber gemacht, was für eine gesundheitliche Gefahr von einem Ziergarten ausgehen konnte. Am Ende ihrer Runde wurde Friedhold Brinkmann sichtlich verlegen.
»Hast du schon mit Tom gesprochen, seit er – äh – in Untersuchungshaft ist?«
»Ja. Ich war vorhin bei ihm.«
»Es tut mir alles sehr leid. Ich weiß, dass er Marlene nichts getan hat. Er ist im Grunde ein Glücksfall für sie, der ruhende Pol in ihrer Beziehung.«
»Glaubst du, dass du ihn in der kurzen Zeit so gut kennen gelernt hast?« Wie gut kenne ich meinen Bruder, schoss ihr dabei durch den Kopf.
»Ich habe beobachtet, wie sich Marlene im Umgang mit ihm verändert hat. Sie ist weicher und entspannter geworden. Ich habe mir früher oft Sorgen um sie gemacht, weil sie so unberechenbar und launenhaft war. Auch mit Clarissa. Wir haben unsere Tochter wohl viel zu sehr verwöhnt. Tja, das einzige Kind, noch dazu ein bildhübsches Mädchen. Ich kenne Marlene, und ich habe mir manche Nacht ernsthafte Vorwürfe gemacht, weil ich es versäumt habe, sie zu einem Menschen zu erziehen, auf den man bauen kann.«
»Du urteilst hart über deine Tochter.«
»Vielleicht noch nicht hart genug. Aber ich hatte immer das
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