Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Schwierigkeiten zu bringen. Was war los mit ihm? Er beschloss abzuwarten, wie Pia Korittki sich weiterhin verhielt.
Heinz Broders stieg in den Fahrstuhl und fuhr nach unten. Irgendein Idiot hatte das Auto oben auf dem Parkdeck direkt in die Sonne gestellt. Der erste schöne Tag im Jahr, und er würde sich in einem Auto ohne Klimaanlage braten lassen müssen. Als er in den Wagen stieg, brach ihm sofort der Schweiß aus. Er legte den Zettel mit dem Namen und der Adresse von Clarissa Liebigs leiblichem Vater neben sich auf den Beifahrersitz. Seufzend zog er eine Landkarte aus dem Handschuhfach, um herauszufinden, wo er lang fahren musste. Norddeich bei Wesselburen, wo lag das überhaupt?
Der Mann am Telefon hatte sich konfus angehört, seine Wegbeschreibung wirr. Außerdem war bei Broders der spontane Eindruck entstanden, er hätte ihn mit seinem Anruf aus dem Tiefschlaf gerissen, dabei war es schon halb elf. Manche Menschen konnten sich das vielleicht leisten, so lange zu schlafen, andere taten es einfach.
Broders stellte sich vor, dass der Mann am Telefon zu der letzteren Sorte gehörte. Wenn er den Mann zu Marlene Liebig und ihrem gemeinsamen Kind befragen wollte, stand ihm wohl oder übel die Fahrt an die Westküste bevor.
Er musste auf einmal an sich selbst in jungen Jahren denken, als er in Husum einen Teil seiner Ausbildung absolviert hatte. Das Land im Westen war ihm immer viel zu flach, die Nordsee zu ruppig und die Deiche lächerlich niedrig erschienen. Wenn eine Sturmflut nahte, hatte er sein Motorrad stets vollgetankt auf dem Parkplatz vor dem Polizeirevier aufgestellt, ausgerichtet nach Osten. Er hatte sich vorgenommen, dass er sich damit im Ernstfall, wenn Land unter drohte, unverzüglich auf den Geestrücken Schleswig-Holsteins retten konnte. Bei Sturm hatte er in Husum immer schlecht geschlafen.
Aber das lag lange zurück. Er musste sich beeilen, nach Wesselburen zu kommen. Wenn er nachher zur Einsatzbesprechung pünktlich zurück sein wollte, hatte er nicht mehr furchtbar viel Zeit.
Auf der Fahrt zu den Brinkmanns ertappte sich Pia dabei, wie sie nervös an ihrer Nagelhaut herumpulte. Eine schlechte Angewohnheit, die sie aus ihrer Kindheit ins Erwachsenenalter verschleppt hatte.
Von dem nun anstehenden Gespräch erhoffte sie sich viel. Tom hatte sie bei ihrem Gespräch an Marlenes Eltern verwiesen, also mussten Frieder und Inge Brinkmann irgendetwas wissen. Kein Mensch verschwand grundlos. Es musste etwas Dramatisches in Marlenes Leben passiert sein, das dann ihr Verschwinden zur Folge gehabt hatte.
Selbst wenn Tom Recht hatte und Marlene noch am Leben war, war es an der Zeit, dass das Rätsel gelöst wurde. Pia fühlte ein unangenehmes Ziehen an ihrer Kopfhaut, das sich in einen handfesten Kopfschmerz ausweiten würde, wenn sie nicht endlich an die entscheidenden Hinweise gelangte, die Licht in den Vermisstenfall Liebig werfen würden.
Es gab immer eine Vorgeschichte, eine Entwicklung, und irgendjemand musste davon Kenntnis haben. Warum nicht Marlenes Eltern?
Erst hatte Pia allein fahren wollen, um der Unterredung den Anstrich von Privatheit zu geben, dann aber hatte sie Heidmüller gebeten, sie zu begleiten. Es stimmte, was Broders ihr vorgeworfen hatte, sie war manchmal zu impulsiv. Oswald Heidmüller würde auf seine besonnene, aber unbestechliche Art und Weise eingreifen, wenn sie ihre eigenen Gefühle zu sehr mit ins Spiel brachte.
Friedhold Brinkmann öffnete ihnen die Tür. Er gab sich höflich, machte aber deutlich, dass er diese Unterredung als Zeitverschwendung betrachtete. Seine Bewegungen waren fahrig und ungeduldig. Er führte sie durch das gepflegte Haus auf die Terrasse, wo seine Frau am Tisch unter einem Sonnenschirm saß und Kaffee trank.
Inge Brinkmann stand hastig auf, als Pia und Oswald Heidmüller auf die Terrasse traten, wobei ihre Tasse klirrte und sich eine Kaffeepfütze auf ihrer Untertasse bildete.
Nachdem sie alle in den weich gepolsterten Gartenstühlen Platz genommen hatten, begann Pia das Gespräch mit einer kurzen Zusammenfassung der neuesten Entwicklungen. Sie hatte sich mit Gabler abgestimmt, wie viel sie sagen sollte. Information gegen Information, so funktionierte es normalerweise am besten.
»Hatte Marlene in letzter Zeit eine Art kleinen Unfall. Hat sie sich mal verletzt oder so?«, fragte Heidmüller, nachdem die Brinkmanns weitestgehend ins Bild gesetzt worden waren.
»Einen Unfall? Meinen Sie einen Autounfall?«, fragte Friedhold Brinkmann
Weitere Kostenlose Bücher