Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Verjährungsfrist also erst nach sechs Jahren begonnen. Je nach angenommenem Strafmaß von bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe betrug die Verjährungsfrist für ein Verbrechen wie dieses 20 Jahre. Nach dieser groben Schätzung schwebte der Täter also nach 20 Jahren durchaus noch in Gefahr, für sein Verbrechen zur Rechenschaft gezogen zu werden.
Das Opfer stellte also immer noch eine Gefahr für den Täter dar. Damit ergab sich ein mögliches Motiv, Marlene Liebig umzubringen. Wenn der Täter an dem Wochenende, an dem sie verschwunden war, auf Michaelis’ Schiff gelangt war, könnte er Marlene Liebig ermordet haben, um sich selbst zu schützen. Und Holger Michaelis ebenfalls?
Es war denkbar, dass der Täter Marlenes Leiche beschwert hatte, bevor er sie ins Wasser warf, um Hinweise auf seine Person zu verwischen. Holger Michaelis hatte er dagegen einfach so in die Ostsee befördert, da der Täter davon ausging, dass keinerlei nachvollziehbare Verbindung zwischen ihm und Michaelis bestand.
Und wenn es sich so verhielt, wer war dann dieser Mann und vor allem, wie konnte man ihn finden? Wenn sie berücksichtigten, dass das Gift Aconitin erstmals in Marlene Liebigs Firma aufgetaucht war und ihr Mitarbeiter Moritz Barkau damit ebenso in Berührung gekommen war wie Holger Michaelis, stellte die Firma Krüger den Dreh- und Angelpunkt für diese Ermittlung dar.
»Wohl allen Männern, die jünger als 35 Jahre sind«, hatte Michael Gerlach dazu festgestellt. Pia hatte sofort an Andreas Mitak denken müssen, den Abteilungsleiter in Marlenes Abteilung. Wie alt mochte er sein? 40, Mitte 40, konnte er ... Aber die Firma Krüger hatte angeblich an die 600 Angestellte, es kamen sehr viele Männer in Betracht, die im richtigen Alter waren und denen Marlene auf dem Firmengelände begegnet sein konnte.
Dann entwickelte sich aus einem Einwurf von Broders die Theorie, dass Michaelis selbst Täter und Opfer zugleich war. War es möglich, dass Marlene ihren Peiniger von damals irgendwie ausfindig gemacht hatte. Ihn beobachtet, Kontakt gesucht und, als sich die Chance ergab, ihn auch umgebracht hatte? Eine kaltblütige Rache, genau geplant und exakt durchgeführt. War der Anschlag auf Moritz Barkau durchgeführt worden, weil er etwas davon wusste?
Aber wo war Marlene dieser Theorie nach jetzt? War etwas schiefgegangen und sie bei der Tat mit über Bord gegangen und ertrunken? Hatte sie in einem Anfall von Reue Selbstmord begangen? Pia hatte einmal von einem Fall gehört, bei dem sich ein Mann eine Eisenkette um den Leib gewickelt hatte und damit ins Wasser gegangen war. Eine Möglichkeit, den Tod durch Ertrinken herbeizuführen, wenn man ein guter Schwimmer war.
Oder aber, das war die dritte diskutierte Theorie, Marlene Liebig war gar nicht tot, sondern hatte sich abgesetzt, weil sie befürchtete, dass sie mit einem kaltblütigen Mord aus Rache nicht ungestraft davonkommen würde. Besonders, da auch Moritz Barkau ihr Opfer hätte werden können?
»Wir stürzen uns hier wie die Hyänen auf diese ollen Zeitungsausschnitte. Vielleicht haben sie auch gar nichts mit den Fällen hier zu tun. Meiner Meinung nach war der Mord an Holger Michaelis und vielleicht auch Marlene Liebig eine Beziehungstat«, sagte Wohlert plötzlich in eine Diskussionspause hinein. »Ich denke, wir suchen keinen Unbekannten. Wir kennen den Täter bereits, er muss sich in Michaelis’ oder Marlene Liebigs direktem Umfeld befinden.«
Pia erinnerte sich daran, dass sie genau das schon einmal bei anderer Gelegenheit vermutet hatte. Schönheit, Neid, Eifersucht und Hass! Starke Gefühle, die Marlene Liebig bei den Menschen in ihrer nahen Umgebung ausgelöst hatte. Das, was ihr dazu einfiel, erschien ihr selbst so ungeheuerlich, dass sie es kaum aussprechen mochte ...
Heidmüller räusperte sich. »Was ist mit Friedhold Brinkmann? Was ist, wenn er der Vergewaltiger ist? Wenn seine Tochter die ganzen Jahre unter Druck geschwiegen hat und nun für ihn gefährlich wurde. Vielleicht, weil sie durch ihre Ehe mit Tom endlich den emotionalen Rückhalt hatte, sich gegen ihren Vater zu wenden?«
»Familiärer Missbrauch findet normalerweise zu Hause statt. Die Vorgehensweise des Täters damals spricht dagegen.«
»Der ganze Fall ist nicht normal. Dieses Schweigen der Eltern, die ganze Atmosphäre dort im Haus. Pia und ich waren gerade dort. Wir dürfen auch diese Möglichkeit nicht völlig außer Acht lassen.«
»Er hat Blauen Eisenhut im Garten«, sagte Pia, die diese
Weitere Kostenlose Bücher