Blaues Gift - Almstädt, E: Blaues Gift
Gefühl, sie beschützen zu müssen, und als ich sah, was ich angerichtet hatte, war es zu spät.«
»Was meinst du mit angerichtet?«
»Marlene ist ein Mensch geworden, der nur sich selbst sieht und der kein echtes Mitleid kennt. Sie hatte immer Glück im Leben, aber sie war der Meinung, es stünde ihr zu. Nie eine Spur von Dankbarkeit ...«
»Glaubst du, ihre Einstellung oder ihr Verhalten hat etwas mit ihrem Verschwinden zu tun?«
Er sah sie unglücklich an, schien in den Minuten der Unterhaltung geschrumpft zu sein.
»Du bist deinem Bruder recht ähnlich«, sagte er zu Pias Überraschung.
»Das ist mir neu.«
»Warte einen Moment.«
Ehe sie sich versah, eilte er zum Haus zurück. Pia stand reglos da und dachte über Marlene nach. So hatte sie sie nie gesehen. Genau genommen hatte sie immer nur ihre Schönheit und ihr sicheres Auftreten wahrgenommen, das hatte ihr für ein Urteil ausgereicht. Marlene erweckte Neid, wenn man sich als Frau mit ihr verglich. »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste ...« Dieser wahnwitzige Konkurrenzkampf um Anerkennung, Sex und vielleicht auch Liebe. Doch wenn Marlene das Schneewittchen war, das über alle Berge floh, wer war dann die böse Stiefmutter?
Sie sah Heidmüller schweren Schrittes den Gartenweg hinunter auf sie zukommen. Auf der Terrasse stand Inge Brinkmann und beobachtete die Szenerie. Als Friedhold Brinkmann mit einem braunen Umschlag in der Hand aus dem Haus gehastet kam, fasste sie sich mit einer spontanen Geste an die Kehle. Pia hätte zu gern ihren Gesichtsausdruck dazu gesehen, doch sie stand zu weit weg.
Marlenes Vater reichte ihr den Umschlag.
»Hier, ich habe es mir überlegt. Sieh dir das in Ruhe an. Vielleicht hilft es bei den Ermittlungen, vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall wirst du uns ein bisschen besser verstehen ... Du hast doch nach besonderen Vorkommnissen gefragt.«
»Was ist das?« Der Umschlag war zugeklebt, es schienen sich Papiere darin zu befinden.
»Es spricht für sich. Denk aber bitte daran, dass wir unsere Tochter nur beschützen wollten.«
»Danke, Frieder ... ich werde es berücksichtigen.«
»Recht soll doch Recht bleiben, nicht wahr. Grüße bitte deinen Bruder von mir.«
»Mach ich.Ihr hört von uns. Auf Wiedersehen.«
Sie hatte es plötzlich eilig, den Besuch zu beenden. Während sie zurück zum Auto gingen, knisterten die Papiere in dem braunen Umschlag verheißungsvoll in Pias Hand.
22. Kapitel
Hannoversche Allgemeine Zeitung
22. August 1982
Barsinghausen . Am Nachmittag des 21. August wurde im Naherholungsgebiet des Deister in der Nähe des Waldstadions ein Mädchen (12) brutal vergewaltigt. Der Täter war ihr durch den Wald zu einer versteckt liegenden Lichtung gefolgt und überwältigte sie. Nach der Tat floh der Mann zunächst zu Fuß. Die Polizei sucht einen mittelgroßen, kräftigen Mann in schwarzer Bekleidung, der zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes gesehen wurde. Die Polizei geht davon aus, dass er sein Fahrzeug auf einem der umliegenden Waldparkplätze abgestellt hatte. Hinweise zu dem Mann oder dem Fahrzeug nimmt die Polizeidienststelle Barsinghausen oder ...
Deister-Leine-Zeitung
22. August 1982
Barsinghausener Einwohner schockiert: Schülerin im Wald überfallen und vergewaltigt . Sie wollte sich mit einer Freundin auf einer kleinen Lichtung treffen, doch stattdessen wurde sie von einem Mann in schwarzer Lederjacke und mit Motorradmaske verfolgt. Der Mann überwältigte das Mädchen und vergewaltigte sie. Dann ließ er sein Opfer im Wald zurück und floh. Die Polizei nimmt an, dass er zu einem der Waldparkplätze floh, wo er seinen Wagen oder ein Motorrad abgestellt haben könnte. Nach Auskunft der Mutter geht es dem Mädchen den Umständen entsprechend. Die Fahndung nach dem Vergewaltiger wurde umgehend eingeleitet.
Deister-Leine-Zeitung
30. August 1982
Noch keine Spur vom Deister-Vergewaltiger . Von dem Mann, der am Nachmittag des 21. August eine 12 Jahre alte Schülerin aus Barsinghausen vergewaltigt hat, gibt es noch keine Spur. Die Polizei geht diversen Hinweisen aus der Bevölkerung nach, teilte ein Pressesprecher mit. Viele Eltern aus Barsinghausen und Umgebung sind empört. »Es muss mehr für die Sicherheit im Waldgebiet getan werden«, entrüstete sich Helga R. aus B. »Wir können die Kinder und Jugendlichen nicht rund um die Uhr beaufsichtigen.« Im Naherholungsgebiet Deister kommt es seit Jahren immer mal wieder zu kriminellen Zwischenfällen. Die
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