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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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würdevoller Tag wird? Für Erik.«
    »Ein würdevoller Tag für Erik? Würdevoller als sich im Todeskampf selbst zu verstümmeln? Würdevoller als zu ersaufen? Das kriegen wir hin.«
    Obwohl sie nicht laut gesprochen hat, fängt ihre Mutter auf demBeifahrersitz nun ebenfalls an zu weinen, und Hella schluchzt frei heraus. Janne lässt das unbeeindruckt. Nur der Blick ihres Vaters im Rückspiegel beschämt sie.
    Im Baumschatten auf dem Platz vor der Friedhofskapelle haben sich Menschentrauben gebildet. Seit Paul Flecker in den siebziger Jahren eine marode Cuxhavener Bootswerft aufgekauft und in ein florierendes mittelständisches Unternehmen verwandelt hat, ist er entlang der Küste eine gefragte Persönlichkeit, zumal Erfolgsgeschichten in der strukturschwachen Region selten geworden sind. Erik war sein Juniorpartner und nicht weniger bekannt. Deshalb gerät jede Familienfeier bei den Fleckers automatischzum gesellschaftlichen Ereignis, was für eine Hochzeit ebenso gilt wie für eine Beerdigung. Namhafte Politiker und Unternehmer haben sich angekündigt, laut Paul Flecker sind Geschäftsfreunde aus aller Welt angereist, um persönlich ihre Anteilnahme zu bekunden - und um ihre Sensationsgier zu befriedigen, wie Janne vermutet. Denn neben Freunden, Verwandten und der gesamten Belegschaft der Flecker-Werft werden zahlreiche Journalisten erwartet. Leider dürften die Umstände von Eriks Tod besonders Boulevardmedien anziehen, weshalb Paul Flecker, wie er sagt, »mit allen Mitteln« darum gekämpft hat, möglichst viele Details unter Verschluss zu halten.
    Als sie aus dem Auto steigen, richten sich trotzdem Foto- und Filmkameras auf sie. Instinktiv schirmt Janne ihr Gesicht mit dem Geigenkoffer ab. Fragen werden gerufen und nicht beantwortet. Objektive surren, Auslöser klicken. Weil Pastorin Reemts den Journalisten Hausverbot erteilt hat, bleiben sie hinter der Hecke zurück. Eine Polizeistreife wacht über das Geschehen.
    Bis zum Gottesdienst ist noch Zeit. Janne versucht sich im Hintergrund zu halten, was nicht einfach ist, da sie die meisten Trauergäste kennt. Wie vor vierundzwanzig Jahren starrt sie auf ihre Füße: keine Lackschuhe diesmal. Wenn sie es sich recht überlegt, hat sie seit der Beerdigung ihrer Eltern nie wieder Lackschuhe getragen. Die Leute stehen in Gruppen beieinander, die Jüngeren tauschen Umarmungen aus, viele klammern sich geradezu aneinander fest. Die meisten Blicke gelten nicht ihr, sondern Hella. Janne spürt die Feindschaft, die ihrer Schwägerin entgegenschlägt, und sie empfindet eine gewisse Befriedigung darüber.
    Die Glocken beginnen zu läuten, und Pastorin Reemts öffnet das Tor zur Kapelle. Nur ein kleiner Kreis geladener Gäste wird darin Platz finden, die anderen müssen bis zur Beisetzung im Freien warten. Janne entdeckt Nils mit seinen Eltern, die beinaheihre Schwiegereltern geworden wären, und gesellt sich zu ihnen.
    »Wieso ist Hella denn mit euch gekommen?«, flüstert Nils beim Hineingehen.
    Janne zuckt mit den Schultern.
    »Wusstest du, dass die Polizei ihre Wohnung durchsucht hat?«
    »Wer sagt das?«
    Sie können nicht weiterreden, weil Friederike Reemts ihnen zur Begrüßung die Hand reicht. Obwohl sie bislang kaum miteinander zu tun hatten, ist Janne überzeugt, dass die junge Pastorin sie nicht mag. Das ist ein ungewohntes Gefühl, meistens hat sie einen Sympathievorschuss bei Fremden, der bei näherem Kennenlernen entweder stark zu- oder abnimmt.
    In der Kapelle werden Nils und sie getrennt. Janne sitzt links vom Gang neben ihrem Vater. Sie weiß nicht, wohin mit dem Geigenkoffer, unter der Bank ist kein Platz, also stellt sie ihn schließlich aufrecht zwischen ihre Knie, froh, eine Hose angezogen zu haben. Es war eine dumme Idee mit dem Violinsolo. Zumal sie kaum Gelegenheit haben wird, das Instrument sorgfältig zu stimmen. Da ist Janne sehr pedantisch. Sie hat das absolute Gehör.
    Es ist warm und stickig in der Kapelle. Mit jedem Atemzug steigen Temperatur und Luftfeuchtigkeit weiter an, bis es so heiß ist, dass sich die Kerzen neben dem Sarg krümmen und die frischen Blumen der Kränze und Gebinde zu welken beginnen. Viele benutzen ihre Gesangbücher als Fächer. Friederike Reemts sieht aus, als sei sie in den Regen geraten - oder ins Meer. Hella schwitzt nicht.
    Die Redner treten nacheinander vor den Altar. Einige sprechen über einen Mann, den Janne nicht gekannt hat, andere zeichnen ein Bild ihres Bruders. Als Meinhard von ihrer Kindheit erzählt,kommen

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