Blaufeuer
Erde mit aller Kraft auf den Sargdeckel.
Als sich die Trauergemeinde nach der Beisetzung auflöst, treten zwei Männer an Hella heran. Sie weisen sich aus und zeigen ein Dokument vor. Einer von ihnen ist Hauptkommissar Hagedorn, der Kripobeamte, der Janne vor Tagen aufgesucht hat.
»Gegen Sie liegt ein Haftbefehl vor. Sie werden dringend verdächtigt, Ihren Mann ermordet zu haben. Bitte kommen Sie mit«, sagt Hagedorn.
»Nein«, antwortet Hella beinahe freundlich, dreht sich um und rennt los. Ein Raunen geht durch die Menge, als sie den Amerikaner samt Dudelsack umstößt. Mit einem matten Tröten entlädt sich die Restluft aus dem Gebläse.
Dafür, dass sie eben noch kaum stehen konnte, ist Hella jetzt ziemlich flink. Janne starrt ihr fassungslos hinterher. Offenbar haben die Polizisten nicht mit Widerstand gerechnet, denn sie brauchen mehr als eine Schrecksekunde, um zu reagieren.
»Halten Sie die Frau auf«, brüllt der eine, und Hagedorn nimmt die Verfolgung auf. Hella kommt nicht weit. Ein Werftarbeiterstellt sich ihr in den Weg und hält sie fest, bis die Polizisten ihr unter vereinzeltem Beifall Handschellen angelegt haben. Die Handgriffe wirken unbeholfen, wie in einem schlecht inszenierten Theaterstück. Hella, nunmehr bewegungsunfähig, fängt an zu kreischen: »Ich habe Erik nicht umgebracht. Ich habe ihn geliebt. Kapiert ihr das nicht, ihr reichen Scheißer?«
Hella wird abgeführt. Sie wehrt sich heftig und stößt reihenweise Beleidigungen aus, die sich in erster Linie gegen die Familie Flecker richten. Beiden Beamten steht die Schamesröte ins Gesicht geschrieben.
Der würdige Tag soll im Kurviertel Duhnen fortgesetzt werden, in einem Restaurant auf dem Deich, das der Familie gehört. Eine ehemalige Lesehalle, auf deren Dach bis 1980 ein Leuchtfeuer installiert war. Modernes Design, kühle Farben, viel Glas. Der Blick aufs Meer dominiert. Laut Paul Flecker eine »Lizenz zum Gelddrucken«. Wegen Erik kann an diesem Nachmittag kein Geld gedruckt werden, da das Lokal für die Öffentlichkeit geschlossen bleibt.
Sie müssen lange auf die Gäste warten, was Janne nicht überrascht. Mit Sicherheit sitzen alle im Blaufeuer zusammen. Von dort aus dürfte sich die Nachricht von Hellas Verhaftung schnell verbreiten. In allen Einzelheiten. Obgleich Janne nur zu gern bereit ist, zu glauben, dass ihre Schwägerin die Täterin ist, hält sich die Begeisterung über ihre Verhaftung in Grenzen. Dafür hat sie Hellas Beschimpfungen noch zu gut im Ohr. Es war entwürdigend.
»Vielleicht sollten wir das Ganze abblasen«, schlägt ihr Vater vor. Er sieht erschöpft aus.
»Das ist ausgeschlossen, Paul«, antwortet seine Frau, und da er sich in solchen Dingen für gewöhnlich auf ihr Urteil verlässt, findet der Leichenschmaus statt.
Als die geladenen Gäste endlich eintreffen, haben sie ihr Bedürfnis nach Klatsch nur ansatzweise gestillt, weshalb über Hellas Festnahme und die Umstände ihres Fluchtversuchs hinter vorgehaltener Hand weiter getuschelt wird. Janne schnappt einen Halbsatz auf: »... So wie die neulich beim Sommerfest auf Erik losgegangen ist ...« Was soll das heißen? Gab es Streit? Eine Handgreiflichkeit? Janne mag nicht nachfragen. Es wird spekuliert, Erik habe Hella verlassen wollen. Davon weiß Janne nichts, und sie glaubt auch nicht daran. Scheidung, das passt nicht zu ihrem Bruder. Je unbeliebter seine Frau sich machte, desto fester hielt er zu ihr. Augenscheinlich erklärt jeder Hella für schuldig, was Janne nun nicht mehr freut, denn irgendwie wirft es ja auch ein schlechtes Licht auf Erik, dass seine Frau so geächtet ist. Sie knabbert lustlos am Matjes-Canape und sinniert darüber, wie oft sie mit ihrem Bruder über diese Frau gestritten hat. Beliebtes Thema: Hellas Verschwendungssucht.
»Sie verprasst das Geld, das du verdienst.«
»Na und? Soll sie doch, wenn es ihr Spaß macht, schließlich ist es mein Geld und sie hatte nie welches, das weckt Bedürfnisse.«
»Warum geht sie nicht arbeiten?«
»Warum sollte sie? Solange sie sich nicht langweilt.«
»Wozu braucht sie allein zwei so teure Autos?«
»Eins für den Sommer, eins für den Winter. Und um Mama und dir die Laune zu verderben, schätze ich.«
Erik ließ sich selten aus der Ruhe bringen. Janne konnte nicht begreifen, warum er sich an Hellas Seite nicht ausgenutzt fühlte, und sie war wie besessen von der Absicht, ihm die Augen zu öffnen - zu seinem eigenen Schutz. Doch Schutz wovor eigentlich? Vor einer Frau,
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