Blaufeuer
Halle wie Sternenstaub.
»Soll so der Deal lauten? Du bringst dein Geigenspiel ein, und ich zeige dir dafür, wie man Boote baut, Geschäfte macht, die Besatzung bei Laune hält und dafür sorgt, dass unterm Strich ein satter Gewinn abfällt?«
Janne ist verunsichert. »Na ja, eigentlich wollte ich heute Abend mit dir über Geld reden. Du sollst schließlich nicht leer ausgehen.«
Wieder dieses Lachen. »Geld, aha. Damit kennst du dich auch aus?«
»Nicht direkt. Eher mit dem Geldausgeben.« Es hat keinen Sinn, ihm etwas vorzumachen.
»Dann bleiben wir doch beim Geigen. Dein Einsatz ist die Kunst, und du hast Glück, denn ich habe eine Schwäche für Geigenmusik.«
»Ist das dein Ernst? Wie soll das funktionieren?«
»Komm morgen wieder, bring die Fiedel mit und spiel mir etwas vor. Aber sei nicht so spät und so hungrig wie heute.«
Mit glühenden Wangen steht Janne auf. »Das ist doch lächerlich. So etwas mache ich nicht mit.«
»Dann nicht. Falls du es dir anders überlegst, ich werde da sein. Gute Nacht.«
Mit einer Taschenlampe in der Hand bringt er sie zur Tür. Den Halogenstrahl richtet er auf ihr Fahrrad, damit sie nicht im Dunkeln aufsteigen muss.
»Ich stecke bis zum Hals im Sumpf, und du hast nichts Besseres zu tun, als dich über mich lustig zu machen«, ruft Janne ihm über das Heulen des Windes hinweg zu. »Das hätte ich nicht von dir gedacht, Birger Harms.«
»Du hast das völlig in den falschen Hals gekriegt. Ich habe dir einen Handel vorgeschlagen: Jeder bringt das ein, womit er glänzen kann. Das ist doch fair.«
Ohne zu antworten, fährt Janne los. Die Böen zerren an ihr. Sie hält das Lenkrad umklammert, wettert aus, wie es auf See heißt, wenn man bei Sturm nicht beidreht. Wolken sind aufgezogen, und der Mond lässt sich nicht blicken. Die Fahrradlampe ist schwach. Janne erkennt den Verlauf des Weges nur, wenn das Licht des Neuwerker Leuchtturms über den Boden hinweggleitet.
Am Morgen sind Wind und Wolken weitergezogen. Das Laub hat begonnen, sich zu verfärben: vornehmlich in Gelb und Braun. Jannes vierter Arbeitstag beginnt so, wie der dritte aufgehört hat: Sie schindet Zeit in Eriks Büro, das Gefängnis und Zuflucht zugleich ist.
In den Schubladen haben sich DIN-A4-Blätter mit Skizzen und handschriftliche Notizen ihres Bruders angesammelt, sein Notebook und der Terminkalender hingegen wurden von der Polizei beschlagnahmt. Janne seufzt. Größtenteils geht es um Dinge, von denen sie nichts versteht, was sie nicht daran hindert, sich in die Baupläne der Yachten und in die Aufzeichnungen über Arbeitsabläufe zu vertiefen und so zu tun als ob. Reine Zeitverschwendung. Sie scheut sich, den Arbeitern unter die Augen zu treten. Auf Kaffee verzichtet sie.
Mittags ruft ihre Mutter an. Viktoria Flecker wird von einer nahezu hysterischen Freude beherrscht, denn sie hat die Mitteilung erhalten, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Hella erhoben hat. »Wir werden als Nebenkläger auftreten, und weißt du, wer unser Anwalt ist? Wilhelm Edler, dieser Staranwalt aus Hamburg, du kennst ihn bestimmt. Hella, dieses Biest, ist so gut wie erledigt. Alles, was die Justiz in diesem Staat an Härte hergibt, Janne, alles, was machbar ist, werden wir ins Feld führen.«
Janne nimmt den Rahmen mit dem Hochzeitsbild in die Hand und betrachtet Hellas unbekümmerten Frohsinn. Ein Biest?
»Mama, wenn du dich hören könntest. Du klingst wie eine Furie. Wozu brauchen wir einen Staranwalt? Wir sind doch zufrieden mit Herrn Michelsen.«
Viktoria Flecker lässt sich nicht beirren. Von der eigenen Rachsucht berauscht, sucht sie nach weiteren Möglichkeiten, Eriks Witwe zu demontieren: »Stell dir vor, ich habe das Angebot erhalten, in einer Talkshow aufzutreten. Ganz seriös, bei denÖffentlich-Rechtlichen. Es geht um die Opfer und Hinterbliebenen von Gewaltverbrechen. Ich überlege ernsthaft, zuzusagen.«
»Nein. Auf gar keinen Fall. Mach das bloß nicht.«
»Vielleicht würde es mir guttun.«
Janne schüttelt den Kopf. »Du würdest es bereuen, glaub mir.« Sie betont jedes einzelne Wort. Janne versteht die Welt nicht mehr. Viktoria Flecker in einer Talkshow - undenkbar. Dass sie so etwas überhaupt in Erwägung zieht, zeigt, wie verzweifelt sie sein muss. Keine Frage, ihre Mutter ist vom Kurs abgekommen. Jemand muss sie aufhalten.
»Janne, du bist reichlich merkwürdig in letzter Zeit, so furchtbar unterkühlt und abweisend, als ginge dich das alles nichts an. Man könnte meinen, es
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