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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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schneller sind als konventionell gebaute - und teurer. Denn es kommen hochwertige Materialien zum Einsatz wie Carbon, eine extrem druckstarke Grafitfaser. Die Kunden bestimmen nicht nur die Größe, sondern auch das Temperament ihres Schiffs: Sie können jeweils zwischen der Sportvariante, einem rasanten Neigekieler, und der gezähmten, aber dafür extrem komfortablen Decksalonyacht auswählen. Erik hat mit der von ihm konstruierten Aiolos erfolgreich an diversen Regatten teilgenommen.
    Zunächst kann Janne den Ausführungen folgen. Sobald es jedoch um technische Details geht, ist sie schlicht überfordert, was sie beschämt und die Anspannung in den Gesichtern der Mitarbeiter zementiert.
    Später, als sie auf die Toilette gehen will, trifft sie Gabi Bremer schluchzend vor dem Waschbecken an. Dabei zupft die Sekretärin abwechselnd an ihrem Blusenkragen, ihrer Frisur und ihren Augenbrauen herum.
    Leise zieht sich Janne in Eriks Büro zurück, wo sie bleibt und aus dem Fenster auf die Elbmündung starrt, bis kurz vor Feierabend ein finnischer Bootsbauer anruft und ein Angebot zum Kauf der Flecker-Werft vorlegt. Es klingt verlockend.
     
    Birger Harms. Auf dem Heimweg von der Werft kommt Janne aus dem Nichts der Mutlosigkeit dieser Name in den Sinn, und sogleich geht es ihr besser. Ein pensionierter Bootsbauer mit Meisterbrief, der Jahrzehnte für die Fleckers gearbeitet hat. Ihr Vater und Erik haben ihn als Koryphäe bezeichnet. Sie beschließt, ihn aufzusuchen. Laut Viktoria Flecker wohnt der Mann mitten im Vogelschutzgebiet am Meer und sein Haus ist nicht mit dem Auto erreichbar. Janne ist ihm früher oft auf der Werft begegnet, war jedoch nie bei ihm zu Hause. Sie nimmt das Fahrrad. Es ist eine anstrengende Fahrt gegen den Wind, vorbei an Salzwiesen. Blaue Blüten am Wegesrand: Strandflieder, fast verblüht. Dahinter liegt das Watt im Abendlicht. Die Sonne ist untergegangen, aber noch ist der Himmel zartrosa marmoriert. Eine Kolonie Brandgänse sucht lärmend nach Herzmuscheln.
    Birger Harms lebt in einer verwitterten Holzhütte, die sich nur dadurch vom Schuppen nebenan unterscheidet, dass sie große Panoramafenster besitzt. Dahinter flackerndes Halbdunkel. Kerzenschein. »Gott mit uns« steht über dem Eingang in Treibholz geschnitzt, Überbleibsel eines Fischkutters, wie Janne vermutet. Neben der Tür dient eine ausgemusterte Schiffsschraube als Blumentopf, in dem Sommerheide wächst. Da es keine Klingel gibt, klopft sie gegen eines der Fenster.
    Schwere Schritte, dann wird die Tür aufgerissen, und Birger Harms fordert sie auf zu verschwinden. »Verfluchte Touristen.« Er steht mit erhobenem Feuerhaken im Türrahmen: kleiner und grauhaariger als in ihrer Erinnerung. Plötzlich lässt er den Arm sinken und fixiert sie blinzelnd. »Janne Flecker?«
    »Ja.«
    Er geht einen Schritt zur Seite. »Komm rein.«
    In der Hütte ist es kühler als draußen. Die Einrichtung ist asketisch: ein schmales Bett, ein massiver Schrank, zwei Stühle und ein Tisch, auf dem sein Abendbrot angerichtet ist: Schwarzbrot, Butter und Aal. Eine Kerze brennt. Arm kann er nicht sein, die Werft zahlt anständig. Ein großes Fernrohr auf einem Stativ und ein Notebook neuester Generation, das auf dem Bett liegt, sind die einzigen Luxusgüter. An einer Wand steht ein gusseiserner Werkstattofen, aber Birger Harms hat kein Feuer gemacht. Seine Enthaltsamkeit ist zweifellos inszeniert, braucht jedoch kein Publikum. Eine Party mit nur einem geladenen Gast, ihm selbst.
    »Setz dich«, sagt Birger Harms und verschwindet hinter einer Tür, die Janne übersehen hat. Gleich darauf kommt er mit einer Flasche Köm und zwei Schnapsgläsern in der Hand zurück. Im Stehen schraubt er den Verschluss ab und füllt die Gläser fast bis zum Rand, wobei er jedem Handgriff eine gewisse Aufmerksamkeit zukommen lässt, ohne behäbig zu wirken. Er setzt sich ihr gegenüber an den Tisch, und Ruhe kehrt ein. Janne weiß noch, dass sie sich als Kind gern in seiner Nähe aufgehalten hat. Daran hat sich nichts geändert.
    »Auf Erik«, sagt Birger Harms und hebt sein Glas.
    Sie stoßen an.
    »Auf Erik.«
    Sie trinken.
    »Ich wollte zur Beerdigung kommen, aber ...« Er lässt den Satz unvollendet. Auch Janne sagt nichts, und je länger das Schweigen dauert, desto lauter klingt das Geschrei der Wildgänse im Freien. Wind kommt auf und rüttelt an der Tür. »Es ist ein großes Glück, ihn gekannt zu haben, er war ...«, setzt Birger Harms erneut an, aber Janne fällt ihm

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