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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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wickelt sich in die Decken ein und trinkt.
    »Kannst du nicht mehr sprechen, oder was?«
    »Tut mir leid, dass ich dir Umstände bereitet habe.«
    Birger Harms schnaubt. »Sei froh, dass dieser Muschelheini im Blaufeuer Bescheid gesagt hat. Du und dein Vater, ihr seid elende Landratten, weißt du das? In Schlesien wärt ihr beide besser aufgehoben.«
    Sie hält ihm die Flasche hin. »Kann sein. Warum tanzt du dann nicht endlich auf der Werft an und hilfst mir? Ich habe meinen Teil der Abmachung erfüllt. Jetzt bist du dran.«
    »Du brauchst keinen Bootsbauer, sondern einen Therapeuten, Janne Flecker. Wenn du Erik vermisst, leg ihm Blumen aufs Grab. Dafür ist es da. Und lauf nicht allein im Watt herum.«
    »Er ist nicht auf dem Friedhof. Er ist hier draußen. Also, was ist? Kommst du? Morgen früh um acht erwarte ich dich.«
    »Du bist der Boss«, sagt Birger und lacht.
     
    Spätabends sucht Janne ihren Vater in der Klinik auf. Es geht ihm weder besser noch schlechter. Er vegetiert. Wie bei ihrem letzten Besuch steht ihr der Sinn nach einem heftigen Streit. Weiler seine eigenartige Gier nach Glamourösem ausgerechnet mit Hilfe einer Austernzucht befriedigen wollte und damit dem Mörder eine Bühne bereitet hat. Weil er verschwiegen hat, dass er ihr leiblicher Vater ist, und sie stattdessen dazu zwang, das Andenken eines Mannes in Ehren zu halten, mit dem sie kein bisschen verwandt war.
    Sie hat immer geglaubt, es zeige seine Rechtschaffenheit, dass er zum Vater für sie wurde, doch in Wirklichkeit hat er nur eine Schuld abgetragen. Es war seine beschissene biologische Pflicht, sich um sie zu kümmern. Und so ein guter Vater war er nun auch wieder nicht. Dogmatisch. Laut. Egozentrisch. Sie ballt die Fäuste. Seine Hilflosigkeit reizt sie bis aufs Blut. Wieso musste er so lange warten, bis er sie mit einem lächerlichen Orakelspruch auf die Spur ihrer wahren Herkunft brachte? Wie kann er es wagen, sich jetzt, da sie endlich Bescheid weiß, um die Auseinandersetzung mit ihr zu drücken?
    Das wird sie nicht zulassen. Sie packt seine Schultern, will ihn schütteln, damit er aufhört, diese Koma-Komödie durchzuziehen. Keine Reaktion. Ihr Puls rast. Durch die geöffnete Tür fällt ihr Blick auf Schwester Marit, die am Krankenzimmer vorbeihastet. Sie fühlt seinen schlaffen Körper, hilflos der Willkür ihrer Hände ausgeliefert, und lässt von ihm ab.
    »Du solltest dich schämen«, sagt sie und weiß nicht, wen sie damit meint: Paul Flecker oder sich selbst.
     
     
     
    PAUL
    Das Meer hat ihn ausgespuckt wie den verendenden Körper eines Wals. Orientierungslos liegt er am Strand, Schaulustige kommen und gehen. Er hört, wie sie sich über ihn das Maul zerreißen, fühlt ihre Schadenfreude. Der König der Ozeane:ein fauliger Klumpen Strandgut. Scheiß drauf. Sollen sie reden, solange sie kein Mitleid entwickeln, alles, bloß kein Mitleid, die einzige Art der Zuneigung, die Verlierern zuteil wird. Er ist ein Gewinner - daran wird auch die Tatsache, dass er wie alle Geschöpfe des Herrn leider sterblich ist, nichts mehr ändern.
    Der Sand reibt seinen Körper wund, und an Land wird das Atmen zur Qual. Die Fettschichten, die ihn im Meer vor Hunger und Kälte bewahrt haben, quetschen seine Organe. Ein eisiger Schmerz schlägt wie Sturmbrandung über ihm zusammen und dringt durch alle Poren ein, bis er aus nichts anderem mehr besteht. Er fleht die Umarmung des Wassers herbei, aber vergeblich. Immer neue Wogen rollen heran, zerren an ihm, waschen seine Würde ab, bis er bereit ist, um Gnade zu winseln.
    Das ist die schwärzeste Nacht. Eine von jenen, die der Teufel über das Land schickt, um sich in den Seelen der Menschen einzunisten, Tage, Monate, Jahre: Die Sonne mag auf- und untergehen, doch es wird nicht hell, weil die strahlenden Kräfte - Liebe, Anstand, Respekt - von der Schwärze aufgesogen werden und selbst Lichtgestalten in sich das verborgene Antlitz des Schlächters entdecken. In dieser Intensität hat er das Böse zuletzt im Kriegswinter 1945 gespürt. Seine Mutter, seine kleine Schwester Hedwig und er waren wie tausend andere auf der Flucht in Richtung Westen. Für alles fühlte er sich zuständig, damals schon, denn er war der Mann in der Familie, das hatte sein Vater ihm beim letzten Fronturlaub im Herbst deutlich zu verstehen gegeben. Februar. Fasching in Dresden. Auf den Straßen Flüchtlinge und kostümierte Kinder. Er war ein Junge vom Land, hatte noch nie so prächtige Gebäude gesehen. So viel Gold. Als

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