Blaufeuer
bricht ab.
»Und?«
»Kein und. Ich war fertig.« Nils seufzt. »Ist das alles, was dich beschäftigt?« »Was erwartest du von mir? Dass ich euch viel Glück wünsche?«
»Warum nicht? Wir sind doch Freunde. Es tut mir leid, dass ich dir nichts von Amanda erzählt habe, weil ich zu feige war. Aber das gibt dir nicht das Recht, mich so zu behandeln.«
»Wie behandle ich dich denn?«
»Als wäre ich derjenige, der die Verlobung gelöst hat.« »Dazu gehören immer zwei.« »Also, das erklär mir bitte mal.«
»Nils«, sagt sie und atmet durch, »ich wünsche euch beiden ganz viel Glück und Seligkeit. Du hast es verdient, denn deine Seele ist so unendlich viel reiner als meine. Falls deine Zeit es zulässt, beauftrage doch bitte einen geeigneten Makler mit dem Verkauf der Wohnung. Danke und tschüss.«
Weil sie die Gesellschaft der beschrifteten Kartons schlecht erträgt, geht Janne ans Meer. Die Böen, die ihr ins Gesicht schlagen, haben bereits Sturmstärke, die Luft trieft vor Gischt. Trotzdes schwindenden Lichts und der regenschweren Wolken ist viel los am Strand, schließlich gibt es selten die Möglichkeit, einem Orkan dabei zuzusehen, wie er die auflaufende Flut vor sich herpeitscht. Janne reiht sich in das Heer der Ehrfürchtigen ein. Kinder kreischen. Auf See türmen sich Wellenberge, Schaumkronen blitzen, und erste Ausläufer der Brandung züngeln bereits über die Promenade. Janne leckt sich das Salzwasser von den Lippen, dasselbe Wasser, das Erik zuletzt geschmeckt haben muss, womöglich sein allerletzter Sinneseindruck. Vom Nordatlantik schäumen die Wassermassen mit Gewalt in die Deutsche Bucht, ein Sinnbild für Jannes Gemütslage. Die Flut ist immer gewaltig. Auch an Sommertagen, wenn das Fließen als Sickern beginnt wie in einem leckgeschlagenen Boot. Als eine Woge die Holzverkleidung eines Strandkiosks zerschmettert, geht sie heim, um sich zum Schlafen in Eriks Mansarde zu verkriechen.
Das Bett steht unter dem Dachfenster. Die Nacht lärmt und tobt wie ein außer Rand und Band geratenes Feuerwerk: Regen, Hagel und immer stärkere Windstöße rücken der Villa zuleibe. Blitze zucken über den Himmel, spalten schwarze Wolkenberge. Donner vereint sich mit dem Getöse des Sturms, der auf der weiten Nordsee freie Bahn hat und an den Deichen und Bauwerken der Hafenstadt erstmals auf Widerstand stößt, was ihn vor Lust aufjaulen lässt. Er verfängt sich in Dachrinnen und zwischen Fensterläden, macht Jagd auf stromernde Katzen, die schreiend Schutz suchen, entwurzelt Bäume in den Straßen und im Wernerwald und peitscht Strandgut bis hinauf zur Altenwalder Höhe.
Janne ist mit den Stürmen an der Küste vertraut, sie weiß die Geräusche zu deuten und ist nicht beunruhigt, denn seit ihrer Kindheit kennt sie kein besseres Wiegenlied. Trotzdem liegt sie wach. Sie schaltet das Licht ein, die Glühbirne flackert und erlischt. Stromausfall. Als würde der Orkan der Stimme ihresBruders Gehör verschaffen, dessen Seele immer noch irgendwo draußen auf See ist und keinen Frieden findet. Sie spürt seine Einsamkeit und seinen Zorn. Seine Seele ruht nicht unter der Erde, sie brennt lichterloh wie vom Blitz getroffen.
Sirenengeheul im Hafen. Das Fensterglas krümmt sich nach außen.
Der Orkan besiegelt das Ende des Sommers und der Austernzucht vor der Küste Cuxhavens. Die aus gekalkten Dachziegeln angelegte Austernbank wurde zerstört, die auflaufende Flut hat Teile des ohnehin kümmerlichen Bestands fortgespült. Der Schadensbericht erreicht Janne telefonisch. Sie muss eine Entscheidung treffen und zögert nicht lange. Sie wählt eine Nummer auf Sylt, wo Deutschlands einzige kommerzielle Austernzucht ihren Sitz hat, und bietet die Überreste des Projektes zum Verkauf an. Sie werden sich schnell handelseinig, was Janne vermuten lässt, dass der Preis lächerlich ist. Ihr ist das gleichgültig. Sie will keinen Cent von diesem Geld. Unglücksgeld. Die Rettungsschwimmer und Eriks Eishockeymannschaft sollen je die Hälfte als Spende erhalten.
Als die Sylter tags darauf mit einem geländegängigen Transporter anrücken, geleitet Janne sie ins Watt. Es ist ein kalter Tag, die Luft ist salzig und klar wie Kristall. Das fein gesponnene Netz unzähliger Wasseradern, die den Gezeitenstrom kanalisieren und ihn mächtigen Strömen, den Prielen, zuführen, funkelt im Licht der tief stehenden Sonne: das Watt, eine Schatzkammer.
»Herrlich«, sagt der Juniorchef der Austernkompanie, ein stämmiger
Weitere Kostenlose Bücher