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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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fest und lässt erst los, als Janne zurücksetzt. Wie konnten sie jahrelang miteinander leben, ohne täglich zu streiten?
     
    Anstatt auf den Parkplatz der Flecker-Werft einzubiegen, wendet Janne und verlässt die Stadt. Sie fährt nach Stade, wo Hella in Untersuchungshaft sitzt. Was sie dort will, ist ihr selbst schleierhaft, aber sie verspürt das starke Bedürfnis, ihre Schwägerin aufzusuchen, vielleicht, um ihr zum ersten Mal, seit sie einander kennen, ohne Vorurteile zu begegnen. Der Pförtner der Vollzugsanstalt schmunzelt, als sie ihr Anliegen vorträgt. Für den Besucheiner Untersuchungsgefangenen sei eine schriftliche Genehmigung nötig, die nur ein Richter oder ein Staatsanwalt erteilen könnten. Ferner gebe es Besuchszeiten.
    »Wir sind doch kein Hotel, junges Fräulein.« Er gehört zu einer Generation, in der diese Form der Anrede zum guten Ton gehört.
    »Das heißt, ich bin den ganzen Weg umsonst gefahren?« »Hm, also ...«
    »Ach, kommen Sie, helfen Sie mir. Bitte.«
    Der Beamte fasst sich ein Herz und führt sie in eine Amtsstube, damit sie ihr Gesuch schriftlich formulieren kann. Er verspricht schnellstmögliche Bearbeitung. Auf sein Angebot, Hella einen Brief zu schreiben, geht Janne nicht ein. Sie lässt sich Zeit mit dem Antrag. Durch das vergitterte Fenster kann sie in einen Innenhof schauen, wo Gefangene Volleyball spielen.
    Sie erkennt Hella sofort, obwohl sie mit dem Rücken zum Fenster steht, und auf einmal gelingt es ihr ohne weiteres, sie mit Eriks Augen zu sehen. Ein zartes Geschöpf, zugleich von großer Zähigkeit, ihre Bewegungen haben etwas Elfenhaftes, was ihre Mitspielerinnen offenbar zur Weißglut treibt. Ständig wird sie angerempelt. Sie sieht oft in den Himmel, wo die Sonne im Zenit steht, und verpasst so jede Gelegenheit, den Ball zu bekommen. Diese Frau scheint zur Außenseiterin geboren zu sein, sie saugt Schwierigkeiten an wie ein Tiefdruckgebiet heiße Luft.
    Der Pförtner bemerkt Jannes Blick und zieht hastig eine Gardine vor das Fenster. »Das muss ich melden.« Er klingt beunruhigt.
    »Tun Sie das.«
    »Es kann sein, dass Sie deswegen keine Besuchsgenehmigung bekommen. Ich hätte Sie überhaupt nicht in dieses Büro lassen dürfen.« Seine Uniform wird zu eng für den Mann, er greift sich an den Hals und öffnet den obersten Hemdknopf.
    »Wissen Sie was? Machen Sie sich keinen Stress und vergessen Sie die ganze Angelegenheit«, sagt Janne und zerreißt ihren Antrag.
    »Ja, aber ...«
    »Es hat sich erledigt.«
    Was sie sehen wollte, hat sie gesehen. Es hat ihre Meinung weiter gefestigt: Hella ist keine Mörderin.
    Auf dem Rückweg fährt Janne einer Wolkenfront entgegen, die sich vom Meer auf das Land zubewegt. Böige Winde bedrängen den Sportwagen. Sie hält das Lenkrad fest umklammert. Laub wirbelt durch die Luft und bleibt an der Windschutzscheibe haften. Endlich.
     
    Beim Anblick der ordentlich aufgereihten Umzugskartons in ihrem Mädchenzimmer fällt Janne der Name des polnischen Gärtners wieder ein: Jurek, Nachname unbekannt. Paul Flecker und Jurek sind früher hin und wieder zusammen ins Blaufeuer gegangen, um über die gemeinsame Heimat zu reden, die ihnen beiden außer Armut wenig zu bieten hatte. Trotzdem hielten sie ihr die Treue.
    Treue - ein beunruhigendes Wort. Janne betrachtet die Kartons. Nils hat sie beschriftet, wie sie erst jetzt bemerkt. Während sich draußen das erste Orkantief seit dem Frühjahr formiert, hängt sie Sommerkleider in den alten Kiefernschrank. An der Innenseite der Türen pinnen vergilbte Konzertkarten: unvergessene Stunden Dauerbeschallung durch längst vergessene Teenie-Bands.
    Janne stellt eine Theorie auf, nach der Menschen, die Umzugskartons beschriften, all denen moralisch und geistig unterlegen sind, die so etwas niemals tun würden. Als das Gefühl von Überlegenheit am stärksten ist, ruft sie Nils an.
    »Du musst mich auszahlen.«
    »Wie bitte?«
    »Es geht um die Wohnung. Die gehört ja uns beiden, und bisher haben wir uns die laufenden Kosten geteilt, was nun keinen Sinn mehr hätte. Da du, formal gesehen, eine Untermieterin beherbergst, müsste ich eigentlich einen Teil der Miete verlangen, die du vermutlich aber gar nicht kassierst, was allein deine Angelegenheit ist. Ich hingegen bin nicht bereit, deiner neuen Freundin kostenlosen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, weshalb es wohl das Beste wäre, wenn ihr euch zusammen etwas Neues sucht. Dann könnten wir die Wohnung verkaufen, uns das Geld teilen und ...« Sie

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