Blaufeuer
schildert Marit, wie nach Paul Fleckers Gastspiel im Schwesternzimmer ein 200-Euro-Schein in der Kaffeekasse gefunden wurde.
Grinsend serviert Johnny Ritscher das zweite Bier.
»Fandet ihr das mit dem Geld nicht ziemlich chauvinistisch von ihm?«, fragt Janne, nachdem sich der Wirt wieder hinter den Tresen zurückgezogen hat.
»Nein, überhaupt nicht, wir fanden es einfach nur nett. Er hat es ja keiner von uns in den Ausschnitt gesteckt.« Verhaltenes Lachen an der Bar. »Hätte er aber sicher gern.«
»Na und, er ist auch nur ein Mann. Er würde nie aufdringlich werden oder so. Und er ist lustig und aufmerksam. Ein Menschenfreund.«
Oder ein Frauenheld.
Wenn Janne zu lange auf Marits rissige Hände schaut, muss sie sich kratzen. »Kommen eigentlich oft Leute in die Klinik, die meinen Vater besuchen wollen? Oder rufen welche an?«
»Es gibt eine Dienstanweisung, nur Familienangehörige und die Pastorin zu ihm zu lassen.«
»Das weiß ich. Könntest du meine Frage bitte trotzdem beantworten?«
Marit wägt ab. »Ich weiß nicht, Janne.« »Bitte. Es ist wichtig für mich.«
»Viele rufen an. Ab und zu kommt auch jemand vorbei, aber wir schicken jeden nach Hause. Zwei Frauen haben ihre Telefonnummern hinterlassen und wollen unbedingt benachrichtigt werden, sobald er aufwacht. Und einmal saß ein älterer Mann mit Pferdeschwanz an seinem Bett, der sich einfach eingeschlichen hatte.« Sie macht eine Pause. »Warum erzähle ich dir das bloß?«
Janne hat mit wachsender Anspannung zugehört. Birger Harms hat also ihren Vater besucht. Und wer noch? Wer sind diese beiden Frauen? Sie bedrängt Marit, ihr die Namen und Telefonnummern zu nennen.
»Keine Chance. Ich darf das nicht, das musst du verstehen.«
Marit hat ihren Wein ausgetrunken und schiebt das leere Glas auf der Tischplatte von sich fort, als könnte sie den Geruch, der davon ausgeht, nicht länger ertragen. Sie drängt zum Aufbruch. Janne lenkt ein.
Eigentlich gefällt ihr Marit. Auch wenn sie ein wenig distanzlos ist.
Als Janne am nächsten Morgen auf der Werft eintrifft, ist Gabi Bremer wie ausgewechselt. Bereits im Treppenhaus schwebt sie ihr entgegen, umweht von Parfümschwaden und bewaffnet mit einem Lächeln, das ihr Gesicht in zwei Hälften teilt. Aus dem Spalt tritt glühend heiße Freundlichkeit aus.
»Ach, Frau Flecker, das ist aber schön, dass Sie kommen. Ich bin ja so froh. Wir alle sind froh. Das war ein glänzender Einfall von Ihnen, Birger Harms aus dem Ruhestand zu holen. Wie haben Sie es bloß geschafft, den alten Sturkopf zu überreden? Sie sind mir eine. Zu keinem ein Wort. Ach, Frau Flecker.«
»Er ist also gekommen?« Janne hält die Luft an und schiebt sich an der Sekretärin vorbei.
»O ja, das ist er. Pünktlich um acht. Hat sich zuerst das Werk angesehen und jeden einzeln begrüßt. Jetzt sitzt er am Schreibtisch, und keiner darf ihn stören. Ich habe ihm das Büro Ihres Vaters gegeben. Nur übergangsweise natürlich. Das war doch in Ordnung, oder?«
»Gewiss, Frau Bremer.«
Zeit für einen Kaffee in Eriks Büro. Schwarz, ausnahmsweise. Der Computer bleibt ausgeschaltet, sie blickt aus dem Fenster. Regenwetter. Über der Bucht wabern Nebelschwaden. Das Wasser ist wärmer als die Luft.
Janne konzentriert sich, denn es ist so weit: Sie will endlich eine Rede vor der Belegschaft halten. Zu diesem Zweck hat sie sich für ein klassisches Outfit entschieden: ein dunkelblaues Kostüm im Marinestil. Schurwolle. Kurzer Rock und Schuhe mit hohen Absätzen. Da ohnehin alle auf sie schauen werden, ist es vielleicht besser, den Blicken eine gewisse Nahrung zu bieten, zumal das, was sie zu sagen hat, nicht gerade erhebend ist. Siewird nach dem Churchill-Prinzip vorgehen: Alles ist im Eimer, und damit es wieder bergauf geht, müssen Schweiß und Tränen, nur Blut hoffentlich nicht mehr fließen. Ansonsten kann sie, ebenso wie einst der britische Premier, wenig versprechen: Ihr einziger Trumpf ist ein tätowierter Senior, der aber immerhin so zäh ist, dass er die Messerattacke einer Amazone namens Elfie überlebt hat. Wenn die ganze Belegschaft so reagiert wie Gabi Bremer, wird Janne demnächst zur Mitarbeiterin des Monats gewählt.
Der Auftritt gelingt einigermaßen. Sicher, sie ist nicht Churchill, aber dafür hat sie eine bessere Figur. Es folgt ein Mittagessen mit Birger auf Firmenrechnung - Wildlachs mit Krebsen und Muscheln in Weißwein-Zitronen-Dill-Sauce. Die Muscheln schiebt sie beiseite.
Anschließend geht Birger
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