Blaufeuer
lachen.
»Eigentlich ist es nicht witzig«, sagt Birger. »Ich weiß.«
»Hör zu, Janne, es gibt im Leben Konstellationen, da ist eine Krise einfach nicht drin, egal, wie begründet sie sein mag. Verschieb diesen Luxus auf später. Wenn es eine gute Krise ist, wird sie auf dich warten.«
Janne muss schon wieder lachen.
Einige Stunden arbeiten sie Seite an Seite. Birger Harms bemüht sich redlich, ihre Grundkenntnisse aufzufrischen. Es geht um Nachbesserungen am Entwurf eines Einhandseglers. Der Kunde wünscht weniger Ballast, um noch höhere Geschwindigkeiten erreichen zu können. Wie bei jeder Konstruktion geht es darum, den besten Kompromiss zwischen den Anforderungen des Käufers und dem physikalisch Machbaren zu finden. Ausgangspunkt ist ein bestimmtes Verhältnis zwischen Verdrängung und Segelfläche und zwischen Ballast und Gesamtgewicht - bei gegebener Länge. Gelingt es, den Rumpf noch leichter zu machen, genügt eine kleinere Segelfläche und man könnte den Mast verkürzen, womit Ballast obsolet würde.
Janne weiß, dass ihrem Vater dieser bis zum Exzess betriebeneLeichtbau nie geheuer war. »Wenn du so weiter machst, wird das Boot am Ende ganz verschwinden«, hat er einmal beim Abendessen aus dem Nichts heraus zu Erik gesagt, als sie eigentlich gerade über ein vollkommen anderes Thema sprachen.
Während Birger Harms über Konstruktionsplänen brütet, versucht Janne mit Hilfe spezieller Software einen produktiven Beitrag zu leisten, doch obwohl sie mit einer früheren Version des Programms vor Jahren verhältnismäßig gut zurechtkam, scheitert sie an der Komplexität der Aufgabe.
Nachmittags sind zahlreiche Telefonate zu führen. Janne versucht, so viele Entscheidungen wie möglich zu vertagen, bis sie besser eingearbeitet ist.
»Ich muss so viel lernen«, sagt sie am Abend zu Birger. Der Berg, den es zu erklimmen gilt, scheint plötzlich so hoch, dass sie nicht einmal den Gipfel sieht.
»Du brauchst eine Strategie. Auf jeden Fall wird es ohne Ausbildung auf Dauer schwierig. Denk über ein Ingenieursstudium nach. Und du solltest dich dringend mit Gabi Bremer zusammensetzen. Sie versteht eine Menge von diesem ganzen Verwaltungskram und hat, glaube ich, auch ein gutes Händchen fürs Geschäft. Dein Vater hat sich dann und wann bei ihr Rat geholt. Außerdem weiß sie immer gut über die Stimmung in der Belegschaft Bescheid.«
»Frau Bremer?«
»Na ja, und für den Anfang bin ich ja auch noch da«, sagt Birger, als er ihr Gesicht sieht.
Mit einem lauten Seufzer fährt sie den Computer herunter und trinkt einen letzten Schluck kalten Tee. Er schmeckt bitter. Birger hilft ihr in den Mantel.
»Du, Birger ...« Janne spricht so leise, dass er sich zu ihr vorbeugen muss, um sie zu verstehen.
»Ja?«
»Das muss alles ein bisschen warten. Du hattest recht vorhin, ich habe wirklich keine Zeit für eine Krise. Aber ich kann mich auch nicht hundertprozentig auf die Arbeit konzentrieren, weil es ...« Sie sucht nach einer Formulierung, die nicht zu viel preisgibt. »Weil es Ungereimtheiten gibt, was Eriks Tod angeht.«
»Ich dachte, der Fall wäre geklärt.«
»Für mich nicht.«
Birger nickt langsam, sie kann sehen, wie es in seinem Kopf rumort. Er holt Luft, will etwas sagen, seinem Blick nach zu urteilen etwas Gewichtiges, aber schließlich schweigt er doch. Sie nehmen den Weg durch die Halle, wie Birger es nach eigenem Bekunden bisher am Ende eines jeden Arbeitstages tut, um hier und dort noch nach dem Rechten zu sehen. Als sie den Ausgang fast erreicht haben, entsteht hinter ihnen ein Tumult unter Arbeitern. Zwei Gruppen stehen sich feindselig gegenüber, die Männer pöbeln laut und rempeln sich an, einer hält ein Schweißgerät in der Hand, ein anderer eine Art Brecheisen. Die Prügelei scheint unausweichlich.
»Hier spielen ja alle verrückt.« Birger fasst sich an den Kopf. »Du bleibst hier stehen und rührst dich nicht.«
Er eilt auf die Männer zu. Janne ist unschlüssig, ob sie ihm folgen oder sich allein auf den Heimweg machen soll. Schließlich tut sie weder das eine noch das andere, sondern befolgt seinen Rat und wartet ab, ohne sich vom Fleck zu rühren. Eine Fehlentscheidung, die dem Tod, ihrem treuen Verehrer, die Gelegenheit gibt, seine Muskeln spielen zu lassen. Diesmal kommt er als Geräusch: ein Sirren in der Luft.
Janne wendet den Kopf, hört Birger und andere Männer etwas brüllen. Instinktiv weicht sie aus und macht einen schnellen Schritt seitwärts, den
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