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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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abgeworben, und keiner will deine Scheißwerft kaufen-außer einer Landratte aus Schlesien. Also, Krüss, entscheide dich und gib mir Bescheid. Du hast eine Woche, danach wird neu verhandelt.«
    »Du kannst mich nicht zwingen, unter Wert zu verkaufen.«
    »Muss ausgerechnet ich dir etwas über Angebot und Nachfrage erzählen?«
    An jenem Abend war Krüss noch nicht so weit. Seinem Ehrgefühl mochte es guttun, dass er, anstatt die Sache perfekt zu machen, eine Schlägerei anzettelte, die im Hinterzimmer begann und auf das Lokal übergriff. Mindestens zehn Männer waren schließlich daran beteiligt, und es ging jede Menge Mobiliar zu Bruch. Ein Mordsspaß. Anstandslos kam Paul Flecker später allein für den Schaden auf, man ist ja kein Unmensch.
    Sein Leben lang dachte er mit Freude an diesen Triumph zurück, und sogar jetzt in seiner größten Not tröstet ihn die Erinnerung an die Geburtsstunde der Flecker-Werft ein bisschen. Das hat er generalstabsmäßig durchgezogen, angefangen mit den Abwerbungen der Konstrukteure. Es ist eben immer gut, jemanden zu kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt ... Bei der Vertragsunterzeichnung hatte er ein blaues Auge. Das waren noch Schmerzen damals - die machten einem wenigstens Freude. Da ging es um schnelles Leben, nicht um langsames Krepieren.

Gespenster
    JANNE
    Ein schattiges Tal. Nicht düster, es fällt genug Licht durch die Baumkronen, sodass am Flussufer Blumen blühen. Die Mühle ist halb verfallen, aber das hölzerne Mühlrad dreht sich weiter. Ein Sehnsuchtsort. Liebesschwüre, in Rinden geschnitzt. Die Rückkehr hält der Erinnerung nicht stand: Sie hat die Treue gebrochen. Süße Melancholie ...
    Die Geige weint. Janne spielt und gibt sich der Gewissheit hin, dass ihr Vater und sie Seite an Seite stehen. In einem kühlen Grunde. Sie sehen und fühlen das Gleiche. Paul Flecker versteht nicht viel von Musik, doch er hat die Gabe, sich auf die Bilder und Empfindungen einzulassen, die jede ausgereifte Melodie in sich trägt, egal ob virtuos oder schlicht. Die Quintessenz eines Augenblicks - oder eines ganzen Lebens -, verewigt in einer Tonfolge und ihren Variationen. Einmal, Janne war noch auf der Grundschule, haben sie lange einem Straßenmusiker zugehört. »Hörst du, wie die Geige weint?« Dieser Ausspruch ihres Vaters hat sie mehr angespornt als das meiste, was ihre hochqualifizierten Lehrer je zu ihr gesagt haben.
    Janne lässt den Bogen sinken. Im Flur wird applaudiert. Ärzte, Pfleger und Angehörige sind stehen geblieben, um ihrem Spielzuzuhören. Sie nickt den Leuten zu und legt die Geige auf der Bettdecke ihres Vaters ab, damit ihr Duft ihn erreichen kann.
    Der Neurologe gesellt sich zu ihnen. »Hübsch, sehr hübsch«, sagt er, aber seine Mundwinkel zeigen nach unten. »Eine Volksweise, nicht wahr? Diese Art Lieder hört man ja heute kaum noch. Ihre Mutter sagte, Sie spielen in der Deutschen Philharmonie?«
    »Nicht mehr«, erwidert Janne.
    »Ja, ja, natürlich, verstehe. Gönnen Sie uns eine Zugabe? Etwas Heiteres vielleicht zur Abwechslung. Wie wäre es mit Mozart ... Eine kleine Nachtmusik, die kennen Sie doch sicher?«
    Eigentlich ist sie sich zu schade für eine Antwort. Der Neurologe begreift das nicht und gibt keine Ruhe. Janne nimmt die Geige vom Bett und verstaut sie im Kasten. »Unterschätzen Sie die stimulierende Wirkung des Elegischen nicht«, sagt sie. »Wann werden Sie wissen, ob mein Vater eine Reaktion gezeigt hat?«
    »Sobald die Daten ausgewertet sind, rufen wir Sie an.«
     
    Reizangebote schaffen. Für gezielte Koma-Stimulation sorgen. Das waren die Worte der Ärzte, die es nun ebenso wie Marit für möglich halten, dass Paul Flecker aus seiner tiefen Bewusstlosigkeit erwachen könnte. Auch wenn sie es natürlich vorsichtiger formulieren, emsig darauf bedacht, sich in alle Richtungen abzusichern. Feiglinge.
    Janne reibt sich auf zwischen Euphorie und Sorge. Natürlich wünscht sie, es möge ihm besser gehen. Doch irgendjemand liegt dort draußen auf der Lauer, und je näher Paul Flecker dem Tod ist, desto weniger dürfte dieser Jemand sich für ihn interessieren.
    Die Last der Verantwortung zermürbt sie. Nach dem Zwischenfall auf dem Deich war sie willens, doch zur Polizei zu gehen. Bis weit nach Mitternacht saß sie vor dem Präsidium im Auto und rang mit sich. Abgesehen von ihrer Abneigung gegenHagedorn hielten sie letztlich zwei Überlegungen davon ab, die Kripo einzuweihen: zum einen die Hochachtung vor dem Lebenswerk ihres

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