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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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hier, wüsstest du das. Wenn ich noch mehr Überstunden verlange, habe ich nächste Woche zwanzig Kündigungen auf dem Tisch. Dann können wir den Laden dichtmachen.«
    »Okay. Prima Idee. Worauf warten wir noch?« Janne stürmt aus dem Büro und knallt die Tür hinter sich zu. An der Garderobe im Flur hängt ein graues Jackett, das ihrem Vater gehört. Abrupt bleibt sie stehen. Sie weiß nicht weiter. In ihrer Ratlosigkeit erinnert sie sich an den Anrufer, der neulich die Werft kaufen wollte, und sie überlegt ernsthaft, ihn zu fragen, ob das Angebot noch gilt. Denn wo sie sich hinwendet, prallt sie auf Probleme, für die es keine Lösungen gibt. Jedenfalls keine, die jemandem wie ihr einfallen würden. Erik oder ihr Vater würden jetzt vermutlich, ohne mit der Wimper zu zucken, bei den Verantwortlichen in den Zuliefererfirmen Dampf machen, danach den Angestellten die Kündigungen ausreden und hätten hinterher noch ausreichend Zeit, sich außerehelich bei irgendwelchen Tussis zu entspannen. Aber solange die beiden hier waren, wollte ja auch niemand weg, die Facharbeiter haben sich um die feinen Arbeitsplätze gerissen. Auch die Hintergründe des Mordes könnten andere sicher in Windeseile aufklären. Polizisten, Detektive, Journalisten: all die professionellen Schmeißfliegen eben.
    Es ist ja nicht so, dass es überhaupt keine Disziplinen gäbe, in denen Janne nicht auch auftrumpfen könnte. Aber die sind zurzeit bedauerlicherweise nur am Rande gefragt. Wie also soll es weitergehen? Sie steht immer noch im Flur neben der Garderobe und badet in Selbstmitleid, bis ihr bewusst wird, dass sie immerhin noch im Spiel ist - wenn auch mit schlechten Karten. Sie wird nicht so leicht aufgeben.
    Birger verlässt das Büro. Als er sie sieht, schlägt er einen Spaziergang vor, um in Ruhe reden zu können. Missmutig folgt ihm Janne ins Freie. Sie schlagen den Weg zum Fischereihafen ein. Es ist dunkel, windig und kalt. Feuchte Kälte, die durch die Kleidung kriecht und bis zu den Knochen dringt. Mittags in Duhnen hat kurz die Sonne geschienen, aber über dem Meer zog bereits die dunkle Wolkenfront herauf, die in der Nacht Regen und Graupel bringen soll. Janne knöpft ihren Mantel zu. Birger Harms trägt nicht einmal eine Jacke.
    Langsam gehen sie den Kai am Fischmarkt entlang, wo die Krabbenkutter festgemacht haben, bunte, altmodische Fischerboote, die plattdeutsche Namen haben wie Ole Deern, Lütte oder Koow, was Möwe bedeutet. Auf den meisten Booten brennt Licht. Durchdringender Fischgeruch liegt in der Luft, aber das stört Janne nicht. Außerdem riecht es nach Farbe. Irgendwo jault ein Schleifgerät. An Land werkeln die Fischer immerfort an ihren Booten herum. Janne kennt viele von früher. Wenn gutes Wetter und wenig zu tun war, durften sie als Kinder mit hinausfahren. Die Erinnerung versetzt ihr einen Stich.
    Birger atmet tief durch. »Was genau geht eigentlich in dir vor, Janne? Noch immer irgendwelchen Ungereimtheiten auf der Spur?«
    Sie nickt. Eigentlich will sie schweigen, doch dann platzt es aus ihr heraus: »Ich sag dir was, Birger: Die Sache mit dem Motor neulich, das war ein Mordversuch.«
    Birger fasst sie am Arm und sie bleiben stehen. »Was redest du denn da?« Er blickt sie einige Sekunden schweigend an. »Wie kommst du dazu, solche Behauptungen aufzustellen?«
    Mit zwiespältigen Gefühlen berichtet sie von dem Reiter und dem Zusammenstoß im Watt. Die Geschichte vom Ave-Maria hingegen behält sie für sich, ohne zu wissen warum. Vielleicht, weil es einfach zu schmerzhaft wäre, darüber zu sprechen.
    »O Mann, Janne«, sagt Birger und reibt sich die Schläfen. »Was ist das bloß für eine Scheiße? Hör auf, Gespenster zu sehen, sonst drehst du mir noch durch.«
     
    Eine Dreiviertelstunde später steht sie in Birgers Wohnung im Kurviertel Döse auf dem verglasten Balkon und blickt aufs Meer, das tintenschwarz zu ihren Füßen liegt. Die Lichter auf der Strandpromenade ziehen Schlieren in der feuchten Luft. Auf der Straße ist kein einziges Auto unterwegs. Birger Harms' Pent-house hat mindestens hundertzwanzig Quadratmeter und fast keine Möbel. In der Wohnung hallt es wie in einer Kapelle. Es war sein Vorschlag, sie hierher mitzunehmen und für sie beide zu kochen: Schwarzbrot und Rührei mit Krabben, strammer Max auf Norddeutsch.
    »Bin gleich so weit«, ruft Birger aus der Küche.
    Janne geht auf und ab, sie grübelt. Hat Birger recht? Ist doch alles ganz anders und sie kurz davor durchzudrehen?

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