Blaufeuer
im Christentum suchte. Und hätte ihm das Christentum nicht in Gestalt von Friederike Reemts die Tür geöffnet, wäre vielleicht sogar ein untadeliger Kirchgänger aus ihm geworden. Was soll's - auch die Bibel ist ein Buch der Sünde.
Hell-Go-Land
JANNE
Viktoria Flecker jst entsetzt. »Helgoland? Wie kannst du jetzt nach Helgoland fahren?«
»Warum nicht? Ich muss mal raus«, erwidert Janne und stopft einen zweiten Norwegerpulli in die Reisetasche.
»Wieso ausgerechnet Helgoland? Was willst du dort um diese Jahreszeit?«
»Was alle dort wollen. Zollfrei einkaufen. Schnaps und Parfüm, du weißt schon.«
»Sehr witzig«, sagt ihre Mutter. »Und was ist mit mir?« »Wie, mit dir? Was soll mit dir sein?«
»Ich vereinsame hier in dem großen Haus - ohne deinen Vater.« Sie zieht eine Grimasse wie ein Kind, dem das Spielzeug weggenommen wurde. Seit Eriks Tod hat sie sich buchstäblich zurückentwickelt. »Weißt du was? Ich komme mit.«
»Nein, Mama, das geht nicht, sorry. Ruf Meinhard an, vielleicht kann er dir ja Gesellschaft leisten. Aber ich werde dich auf keinen Fall mitnehmen.«
»Wieso denn nicht? Warum erzählst du mir nicht, was los ist? Was hast du vor? Nie sprichst du mit mir. Immer nur Ausflüchte, keine Antworten.«
Janne schließt den Reißverschluss der Tasche und schultert sie. »Du willst eine Aussprache? Dann komm mal mit.« Entschlossen geht sie voraus. Vor dem Atelier ihrer Mutter bleibt sie stehen. »Gehen wir dazu am besten hier hinein. Da drin ist es so schön kuschelig.«
Viktoria Flecker protestiert schwach.
»Warum nicht? Wegen der Unordnung? Die habe ich bereits gesehen«, sagt Janne und öffnet die Tür.
Im Tageslicht wirkt das Durcheinander aus Farbresten, Gerumpel, Leinwänden und Altpapier noch beklemmender. Eine stinkende Müllhalde. Ihre Mutter schlägt die Hände vors Gesicht und beginnt zu weinen. Übergangslos. Inzwischen hat sie Übung darin.
»Warum tust du mir das an?«, schluchzt sie.
Janne stellt die Tasche auf den Boden und umarmt Viktoria. Eine steife Geste, die sie beide gleichermaßen Überwindung kostet. Es herrscht große Fremdheit zwischen ihren Körpern. Wie ausgezehrt sie ist.
Ihre Mutter macht die gleiche Entdeckung: »Du bist so dünn geworden, Kind. Soll ich dir etwas zu essen kochen?«
»Nein, danke, ich muss gleich los. Aber vorher will ich eine Aussprache, und zwar genau hier. Mach jetzt bitte keinen Rückzieher.«
»Warum gerade hier?«
»Weil ich hier begriffen habe, dass wir in unserer Familie nicht in der Lage sind, miteinander zu reden. Realistisch betrachtet sind es nur Partygespräche, die wir führen. Wir machen uns gegenseitig vor, klarzukommen oder sogar zufrieden zu sein. Wir belügen uns selbst.«
Mit einem Spitzentaschentuch tupft sich Viktoria die Tränen von den Wangen. »Nun mach wegen meines kleinen Problems bitte nicht gleich die ganze Familie schlecht. Das ist nicht fair.«
»Siehst du, das meine ich. Immer so tun, als wäre die Welt in bester Ordnung, egal wie schlecht es einem geht. Hauptsache, nichts dringt nach außen und die Fassade glänzt. Unsere Probleme sind alles andere als klein, es sind Abgründe«, sagt Janne und betritt das Atelier, wo sie wahllos ein Gemälde ihrer Mutter hervorzieht. Eine Familie im Strandkorb, dahinter liegt das Meer im Sonnenschein. Ein anderes Bild zeigt die Kutter im Fischereihafen, ein weiteres die Kugelbake bei Nacht. »Warum malst du solche Bilder? Warum nicht deinen Ehemann, wie er es mit einer anderen treibt?«
»Das verbitte ich mir.«
Janne reibt sich die Augen, die von den Farbdämpfen gereizt sind. »Willst du weiter behaupten, du wüsstest nichts von seinen Liebschaften?«
»Natürlich weiß ich davon. Aber dich gehen sie nichts an. Außerdem macht es mir schon lange nichts mehr aus. Soll er doch. Ich habe ohnehin keine Lust auf seine Sexbesessenheit. Das ist doch krank, ist das doch.«
»Wenn es dir nichts ausmacht, wieso sieht es hier oben dann so aus? Das war früher deine Schatzkammer, dein Heiligtum. Das lässt du doch nicht ohne Grund so verkommen. Und schieb es nicht auf Eriks Tod. Es muss Jahre gedauert haben, so viel Müll anzusammeln. Jahre, in denen du ihm und dir vorgegaukelt hat, alles wäre in Butter. Und ich Idiotin bin darauf genauso hereingefallen.« Janne schlägt mit der flachen Hand auf einen Papierstapel, dass es staubt. Sie müssen beide husten.
Da Viktoria sich weigert, auf die Frage ihrer Tochter einzugehen, wechselt Janne schließlich das Thema.
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