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Blaufeuer

Titel: Blaufeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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mir damals versprochen.«
    »Ich werde die Wahrheit herausfinden.«
    Die Funny Girl tutet.
    »Deine Minute ist um«, ruft Reimer.
    Janne stapft, begleitet von seinem Schimpfen, an Bord.
    »Tempo, tempo. Und eine Hand fürs Schiff.«
    Viktoria versucht bis zuletzt, Janne zurückzuhalten. »Komm sofort zurück. Ich verbiete dir, in dieser Situation abzureisen.«
    Die Gangway wird eingezogen und die Funny Girl vibriert, als die Hauptmaschine anspringt. Eine Rußwolke nebelt Janne ein. Sie formt die Hände zum Trichter. »Pass auf Papa auf.«
    Beim Ablegen muss Janne daran denken, dass Maschinisten von der Deckbesatzung traditionell als Kellerkinder verspottet werden, was ihr Vater einst aufgegriffen hat, um ihnen zu drohen, wenn sie bei Schiffspassagen allzu wild zwischen den Passagieren herumtobten: »Benehmt euch, sonst verkauf ich euch als Kellerkinder. Gibt garantiert einen guten Preis.«
    Er hatte eine Art, solche Dinge auszusprechen, dass nichts unmöglich schien.
    »Das sind doch gar keine Kinder«, erwiderte Erik.
    »Geh ruhig nachsehen, wenn du mir nicht glaubst. Aber lass dich nicht erwischen, sonst behalten sie dich gleich da.«
    Sie kauften ihm die Geschichte von den Kellerkindern ab und tobten trotzdem weiter. Weil sie darauf vertrauten, dass er sie niemals verkaufen würde. Für kein Geld der Welt. Bisweilen verkleidet sich das Leben eben doch genau so, wie ihre Mutter es malt.
    Viktoria Flecker steht am Anleger und ruft irgendetwas, was im Maschinenlärm untergeht. Sie macht keinerlei Anstalten zu winken, und auch Janne lässt die Arme hängen. Ein bitterer Abschied.
     
    Möwen begleiten sie. Die Funny Girl nimmt Kurs auf das Elbfahrwasser. Backbord die Alte Liebe. Spaziergänger in leuchtend bunten Winterjacken stehen auf der weiß umzäunten Galerie beim mittleren Fahnenmast, wo Janne die Wahrheit über Eriks Tod erfahren hat. Von fern sieht es aus, als würden sie über etwas lachen.
    Neben ihr an Deck rätseln ein Mann und eine Frau mit hessischem Akzent über die Herkunft des Namens Alte Liebe. Janne weiß Rat: Zur Errichtung eines Bollwerks an dieser Stelle wurden drei ausgediente Schiffe mit Steinen gefüllt und in der Elbe versenkt. Eines davon hieß Olivia, wurde aber von den Einheimischen nur Oliv genannt, was phonetisch dem plattdeutschen Wortlaut für Alte Liebe entspricht.
    Die Hessen bedanken sich. Janne lächelt. Eine freundliche Frau, die Urlaubern Auskünfte erteilt. Eine Frau mit einer Pistole im Rucksack.
    Sie hat sich ein Ultimatum gesetzt. Eine Woche. Hat sie bis dahin das Geheimnis um Eriks Tod nicht gelüftet oder festgestellt, dass es schlechterdings keines gibt, wird sie endlich zur Polizei gehen - und um Schutz für sich und ihren Vater bitten.
    Die Tatsache, dass auf sie geschossen wurde, setzt ihr zu. Gelinde gesagt. Seither hat sie kaum noch geschlafen, hält die Waffe jederzeit griffbereit. Sicher besteht eine kleine Chance, dass einer der Jäger versehentlich in ihre Richtung gefeuert hat, aber die Wahrscheinlichkeit scheint verschwindend gering. So oft? Vier Schüsse, und sie hat laut gerufen. Höchstens ein stockbesoffener Schütze hätte das überhören können. Und für einen Betrunkenen war er zu treffsicher.
    Eine Woche also, um eine neue Spur zu verfolgen: Sie will herausfinden, ob die fabrikneue Luxusyacht Tyne im Jahr 1976 vor dem Roten Felsen gesunken ist - oder ob es sich um einen Versicherungsbetrug im großen Stil gehandelt hat. Bei der stundenlangen Durchsicht alter Firmenunterlagen der Flecker-Werft ist sie in der Nacht zuvor auf Unregelmäßigkeiten gestoßen.
    Jemand stellt sich hinter sie. Sofort dreht Janne sich um und greift nach ihrem Rucksack.
    »Keine Panik, ich bin es nur. Kein Taschendieb«, sagt Reimer. Seit der vierten Klasse ist er kräftig gewachsen, Seewind und Sonne haben seine Haut gegerbt. »Kennst du mich überhaupt noch?«
    »Großes R, kleiner Eimer«, erwidert Janne. So hat er sich immer den Lehrern vorgestellt. »Daran erinnerst du dich?« »Wie könnte ich das vergessen?«
    Eisiger Wind schlägt ihnen entgegen. Kaum haben sie die Kugelbake hinter sich gelassen, beginnt das Schiff zu rollen. Vor ihnen tanzt das offene Meer in einem Kleid aus bleiernem Grau.
    »Schietwetter für einen Ausflug«, sagt Reimer.
    »Mir egal, ich musste mal raus.«
    Reimer strafft die Schultern. »Ich wollte dir mein Beileid wegen deines Bruders aussprechen. Es tut mir wirklich sehr leid, was passiert ist.«
    »Danke.«
    Reimer kratzt sich am Kinn.

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