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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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fünf Minuten noch mit Engelsgeduld zu, wie sich der Wagen hebt und senkt, immer wieder hebt und senkt. Lediglich die nervös in den Hosentaschen trommelnden Finger und das schiefgefrorene Grinsen ließen einen aufmerksamen Beobachter zu dem Schluss kommen, dass er gerade dabei ist, all die Stunden Hundesitting zu addieren, die ihn diese Fraternisierungsaktion mit der tschechischen Verkehrspolizei kosten würde. Nach einer gefühlten Viertelstunde und diversen Schlucken vom selbstgebrannten »Brüderschaftsslivovice« aus der Thermoskanne sind sie endlich wieder unterwegs und stehen weitere zwanzig Minuten später in einem vollkommen aus der Gegenwart gefallenen Nirgendwo vor einem Wirtshaus, aus dessen sperrangelweit geöffneten Fenstern trotzdem die momentan so vertrauten Geräusche hallen – gerade hat die Halbzeitpause begonnen. Über der Eingangstür aus wettergegerbtem Eichenholz hängt ein Neonschild, darauf ein blauer Affe, der schaukelnd in die beginnende Dunkelheit grinst. Von Osten her ziehen schwere Wolken auf.
     
    *
     
    Knapp zwei Stunden waren sie gefahren, die weißglühende Sonne im Rücken. Gerlach hatte seinen Mercedes wie ein Irrsinniger über die nahezu leere Autobahn gejagt und war kurz vor Waidhaus auf eine Landstraße abgebogen. Nach ein paar Kilometern hatten sie einen kleinen Grenzübergang passiert und zugleich den letzten Ortsnamen, der Leonie im Gedächtnis blieb – »Tillyschanz«. Ab da waren die Schilder mit Namen beschriftet, die schwer entzifferbar waren und meist auf »-lice« oder »-vice« endeten.
    Die schmale Straße führte erst über einen dicht bewaldeten Bergrücken, dann durch eine hügelige Heidelandschaft, in die ein Sammelsurium aus grauen Plattenbauten, heruntergekommenen Wohnhäusern und verlassenen Gehöften gestreut war.
    »Roma«, zischte Gerlach unvermittelt, als sie eine Gruppe Männer mit schwarzen Haaren und dunklem Teint passierten, die rauchend vor einem abgewirtschafteten Bau aus sozialistischen Zeiten saßen. Seit einer Stunde hatte er kein Wort mehr geredet. »Nach dem Krieg war diese Gegend fast menschenleer, niemand wollte hier mehr leben. Deshalb haben die Kommunisten in der hintersten Slowakei all dieses Gesindel eingesammelt und es hier zwangsweise wieder ausgesetzt – Ratten, Kakerlaken, Schmeißfliegen. Damit haben sie das Land endgültig ruiniert. Aber das kann der Mensch ja am besten: verwüsten, beschmutzen, ruinieren.«
    Auf der Autobahn hatte er sie bis Amberg beschworen, sie solle keine Angst haben – hatte sie das in den letzten Tagen nicht immer wieder gehört – sie solle keine Angst haben? Warum? Was machte es denn für einen Unterschied, wenn sie Angst hätte? Sie hat Angst, aber die Angst fühlt sich ganz stumpf an, staubig und trocken. Sie schnürt dir die Kehle zu und lässt die Zunge verdorren.
    »Die Messerstiche kümmern mich nicht. Nein, wirklich nicht. – Der Verrat ist das Schlimme. Du weißt nicht, was ich damit meine. Aber du wirst es noch verstehen, kleine Leonie. Du wirst noch verstehen!«
     
    *
     
    »Oh Mann, schon wieder im Wald!« ist Gloßners erster und, ja, fast panischer Gedanke beim Betreten der Kneipe, was allerdings nur teilweise daran liegt, dass im   Blauen Affen   alles aus Holz zu bestehen scheint. Der Boden, die Decke, die Wände des langgestreckten Schankraums – dunkelbraunes Holz, wohin das Auge blickt. An hölzernen Tischen, an der hölzernen Bar hocken Männer und ein paar vereinzelte Frauen auf Holzhockern und Holzstühlen. Weitaus mehr Menschen aber stehen in den schmalen Gängen zwischen den Tischen, teils mit Bier in der Hand, teils ohne, fast alle rauchen, Schnapsgläser kreisen, es herrscht eine Lautstärke wie auf einem Hubschrauberlandeplatz. Die Getränke werden vom Tresen aus über viele Zwischenstationen an die Besteller weitergereicht – der Wirt muss über ein Elefantengedächtnis verfügen oder ein Organisationsgenie sein, vielleicht ist er aber auch nur mit viel Gottvertrauen und sehr guten Ohren gesegnet.
    Nicht einmal eine Viertelstunde bleibt ihnen, bis die zweite Halbzeit beginnt, um hier irgendeine Information zu bekommen – nur wie soll das in dieser Sardinenbüchse von Wirtschaft funktionieren? Und was sollen sie überhaupt fragen?
    Sicher, man könnte sich auf einen der Tische stellen, den man vorher freilich von Gläsern, Aschenbechern und Rauchwaren befreien müsste, und auf tschechisch »Scherben!« ins Gewirr rufen – »Scherben, sehr viele Scherben! Sagt das

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