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Blaulicht

Blaulicht

Titel: Blaulicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nacke
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irgendjemandem was, macht es bei irgendwem klick?« Oder wie wäre es mit »Weiß?«, »Hat jemand von Ihnen eine Idee zur Farbe Weiß?« Ob man hierzulande genau wie in Deutschland gleich die Sanka rufen würde, ist fraglich. Eher käme sicher zunächst mal das landestypische Universalheilmittel zum Einsatz: die gute alte Stock-Vodka-Becherovka-Kur! Mit Grauen erinnert sich Gloßner an jenen nachhaltigen Kneipenzug mit Vašek kurz nach seiner Scheidung vor einigen Jahren, bei dem er sehr intensive Bekanntschaft mit diesem infernalischen Schnapstrio gemacht hatte. Und à propos   šnaps : was war das eigentlich für eine blödsinnige Idee von ihm, aufs Geratewohl über die Grenze in eine tschechische Dorfkneipe zu fahren, um dort dann was genau zu tun?
     
    *
     
    Immerzu dieselben Wörter, dieselben Sätze – oder sind es die Wände, die Steine? Ist es das Echo?
    Auf und ab, auf und ab.
    Wie lange schon geht Gerlach in diesem Raum auf und ab? Ist es Gerlach?
    Wie lange sitzt sie schon hier und starrt ihn an, diesen fremden Menschen, der Gerlachs Gesicht gestohlen hat, seinen Körper, seine Stimme. Seine Stimme? Alles klingt so anders, wie durch eine unsichtbare Wand gebrochen. Seine Worte, seine Stimme. Und dabei geht er immerfort auf und ab, auf und ab in diesem Raum. Rilke, Rilkes Tiger – aber es ist kein trauriger Tiger. Er ist böse, er wird dich zerreißen. Beweg dich nicht! Lös dich auf! Sei nicht hier!
    »Hörst du, wie es klingt, wenn der Bogen von seinem Weg abweicht? So!«
    Das Cello jault gequält auf, schreit wie ein Tier unter Schmerzen. Der Tiger spielt mit seiner Beute.
    »Das hat deine Schwester gewusst! Und trotzdem ist sie vom Weg abgewichen – sie ist immer wieder abgewichen. Erst als sie mich hier besucht hat, hat sie verstanden. Sie hat diese Lektion gebraucht, weil sie nur so endlich gelernt hat. Weil sie erst verstehen musste, was passiert, wenn man sich vom Weg abbringen lässt. Da hat es ihr leidgetan, der dummen Göre.«
    »Was ist aus dem Cello geworden, das ich ihr gegeben habe? Ich habe ihr ein Maggini-Cello geschenkt – eine Perle für eine Sau!«
    Bleib still, beweg dich nicht, sei unsichtbar! Er sieht dich nicht, wenn du dich nicht rührst.
    Zirpen draußen noch die Grillen? Dämmert schon der Morgen? In diesem Raum gibt es keine Zeit, es gibt kein Draußen.
    »Ich wollte nichts von deiner Schwester! Jedenfalls nicht das, was diese Schmutzfinken …! Ich wollte etwas ganz anderes, etwas Reines, etwas Gutes. Ich wollte sie zur Vollkommenheit bringen – sie hätte das Zeug dazu gehabt, aber sie hat es mit Füßen getreten. Ich wollte, dass sie spielt! Dass sie es hört, fühlt, erfährt mit jeder Faser ihres Körpers. Deshalb habe ich sie eingeladen mitzukommen. Hierher. Siehst du? In diesem Raum lenkt dich nichts ab. In diesem Raum wird nur Musik gespielt. Dieser Raum ist heilig. Weißt du, dass Pablo Casals jeden Tag seines Lebens mit einer Stunde Bach begonnen hat? Eine Stunde Bach, um das Haus zu segnen, um den Schmutz zu vertreiben. Genauso habe ich es auch gemacht. Seit dreißig Jahren spiele ich jeden Tag eine Stunde aus den Cellosuiten. Man spielt Bach nicht einfach so! Es ist ein Ritual, ein Gottesdienst! Verstehst du – man spielt Bach nicht einfach so zwischendurch wie Vivaldi oder Boccherini oder Corelli. Bach ist keine Musik – Bach ist Gottesgesang!«
     
    *
     
    »Hör zu, wir verschwinden. Das hat doch alles keinen Sinn, Vašek! – Vašek?«
    » Na zdraví, pˇríteli! « Ein korpulenter Mann in kariertem Hemd prostet Gloßner begeistert zu. Es ist nicht Vašek Skoˇcdopole. Gleich darauf fühlt Gloßner sich in einen Schraubstock gepresst. Ist aber kein Schraubstock, ist nur der Landarbeiter Václav Holý aus Vitani, der ihn fest an seine breite Brust drückt. Gloßner würde gern mit den Armen rudern, wenn das bei der räumlichen Enge möglich wäre, bringt aber nur ein gequetschtes »Ich krieg keine Luft mehr!« raus.
    »Du Deutsch?« schlägt ihm eine mehrstündige Bierfahne ins Gesicht. Nachdem Gloßner trotz der heftigen Umklammerung des Hünen eine Art Kopfnicken zustande gebracht hat, fühlt er erstens, wie der Schraubstock ihn freigibt, zweitens, wie blitzartig wieder Luft in seine Lungen schießt, drittens die Pratze eines Bären auf seiner Schulter und viertens das Brüllen just dieses Bären in seinen Trommelfellen.
    »Ich Vašek, du deutsch.   Na zdraví! «
    »Ich suche meinen Freund!«, versucht Gloßner mit mürber Kehle gegen den Lärmpegel

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