Blaulicht
schneller erholt, als wir dachten.«
»Aha. Zoe, aber ich versteh nicht –«
»Moment noch, Chef. Ich bin – das heißt, wir sind heute auf ein paar ganz komische Sachen gestoßen, und ich wollte den Gerlach dazu befragen. Deswegen bin ich vom Klinikum gleich weiter zu seiner Wohnung gefahren. Aber da ist er auch nicht.«
Mattusch bewegt seinen Wagen eine Etappe weiter – wieder fünf Meter geschafft.
»Und? Der Gerlach kann sich doch aufhalten, wo er will – im Gegensatz zu mir.«
»Chef, das kann man alles schwer am Telefon erklären. Kasch-, ähm, Frau Dr. Halbritter ist heute zweimal bei Sandra Kovács gewesen und –«
»Dann machen Sie sich jetzt mal keine Sorgen. Frau Halbritter hat mich vorhin angerufen, weil sie mit mir etwas besprechen wollte, und ich bin auf dem Weg zu ihr. Kann sich nur noch um Stunden handeln, bis ich dort bin. Machen Sie Feierabend, Zoe.«
Die Stimme der Griechin klingt geknickt, aber nicht überzeugt. Sie hat das sichere Gefühl, zu wissen, wo Gerlach sich gerade aufhält oder in absehbarer Zeit aufhalten wird, auch wenn sie sich nicht erklären kann, warum sie so sicher ist. Hat Kalz sie mit seiner Fixierung auf Tschechien angesteckt oder ist ihr nur die Hitze auf den Verstand geschlagen?
Am tiefblauen Himmel gondeln ein paar vereinzelte Wolken – einige wenige sind hellgrau eingefärbt.
*
Eine halbe Stunde nach Frau Dr. Halbritters Anruf steht ein sichtlich strapazierter Helmut Mattusch vor der Tür zu ihrer Maisonettewohnung in der Kleinweidenmühle, mit aufgemalten Deutschlandflaggen auf beiden Wangen und einem etwas knapp sitzenden WM-Trikot am Leib.
»Da hast du ja wirklich den denkbar günstigsten Zeitpunkt erwischt.«
»Helmut, was soll das? Hast du gedacht, du würdest ein gemütliches Fußballwochenende verbringen, und spätestens am Montag gäbe es eine quietschfidele konversationsfreudige Sandra Kovács?«
»Blödsinn. Nein, wirklich. Ich hab das nicht so gemeint. Was gibt es bei dir zu trinken?«
»Eisgekühlten Früchtetee kann ich dir anbieten.«
Mattusch verzieht das Gesicht. »Nichts anderes?«
»Gibt nichts Besseres bei der Hitze.«
Kascha verschwindet kurz in der Küche, und Mattusch bewegt sich ein wenig linkisch durch den dringend aufräumbedürftigen großen Raum, der gleich hinter der Wohnungstür beginnt. Der dominierende Einrichtungsgegenstand ist bedrucktes Papier, das sich von den ihm vor Jahren einmal zugewiesenen Plätzen in den Raum schiebt und in Stapeln aus dem hie und da noch sichtbaren Fußboden wächst. Auch diverse Sitzmöbel und ein Tisch sind von Büchern und Zeitschriften überwuchert. Vor der breiten Fensterfront verlockt eine Terrasse mit blauen Korbmöbeln, einer Hängematte und Blick auf die Pegnitz.
»Wunderschöne Lage«, stellt Mattusch nicht ganz ohne Neid fest, während ihm das erste Glas Tee, das er in einem Zug ausgetrunken hat, in Schweißbächen über die Stirn läuft. »Seit wann lebst du hier?«
»Seit der letzten Fußball-WM.«
Mattusch macht große Augen.
»Die WM 2006 war eine Katastrophe. Ganze Nächte hindurch haben sich hupende Italiener, hupende Türken, hupende Deutsche direkt vor meinen Fenstern gestaut. Irgendwann war ich so entnervt, dass ich morgens um zwei angefangen hab, abgelaufenen Joghurt aus dem Fenster zu werfen. Aber der eigentliche Grund war der Wasserschaden, den ich in der Wohnung hatte, und das ganze nachfolgende Theater mit dem Vermieter.«
Mattuschs Blick fällt auf ein paar Bücher, die zuoberst auf dem Beistelltisch neben dem Sofa liegen. »Ist das deine Fachliteratur im Fall Kovács? Grausamkeit und Sexualität – Geschlechtsverirrungen – Der dyadische Effekt in der psychotherapeutischen Praxis – ?«
»Kann man so sagen.«
»Was ist das mit dem dyadischen Effekt?«
»Langsam. Alles von Anfang an. Ich war heute mit Zoe im Elternhaus Kovács, hab sie danach noch zu dieser Schulkameradin begleitet, die den Gerlach wegen Vergewaltigung angezeigt hat, war dann zweimal bei Sandra Kovács und schließlich beim Gerlach.«
»Moment – du warst beim Gerlach? Vor noch nicht einer Viertelstunde hat mich die Zoe angerufen und hat mir gesagt, dass der Gerlach heute Nachmittag auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen hat. Wann willst du denn bei dem gewesen sein?«
»Bitte? Der Gerlach ist aus dem Klinikum raus?« fragt Kascha gegen, anstatt eine Antwort zu geben, zieht ihre Handtasche zu sich heran und fingert nervös eine Packung rote Gauloises
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