Blaulicht
bedeutet – und warum das sogenannte Wichtige mit Vorliebe stets dann ins Leben einzubrechen pflegt, wenn man es ganz und gar nicht brauchen kann.
*
Die Klingeltafel hat nur fünf Namen auf blankpolierten Messingschildchen – macht eine Wohnung pro Etage. Der Name Gerlach steht in der Mitte. Zoe klingelt, wartet, klingelt.
Gegenüber öffnet sich ein Fenster im ersten Stock. Der Kopf eines älteren Mannes erscheint, offenbar frischluftbedürftig nach zwei Stunden Fußballübertragung. Neugierig fasst er sie ins Visier.
»Sie sind doch die Frau Kommissarin, oder? Wollen Sie zum Herrn Gerlach? Da müssen S’ ins Krankenhaus fahren, der ist noch nicht daheim!«
Zoe überquert die Straße.
»Haben Sie einen Augenblick Zeit? Kann ich kurz raufkommen?«
Herr Zintl nickt und verschwindet vom Fenster. Der Türöffner summt.
»Kommen S’ nur rein! Ruth, die Frau Kommissarin ist da! Die Frau, die auf den Herrn Gerlach losgegangen ist, ist hoffentlich schon im Gefängnis?«
In irgendeinem Roman hat Zoe einmal gelesen, ältere Männer sähen entweder aus wie Frösche oder wie Insekten. Herr Zintl gehört eindeutig zum Froschtyp.
»Nächste Woche steht sie vor Gericht«, behauptet Zoe. »Und so, wie ich die Lage einschätze, bekommt sie mindestens zehn Jahre. – Herr Zintl«, unterbricht sie seine lebhafte Zustimmung, »könnten Sie uns einen Gefallen tun?«
Er nickt eifrig.
»Freilich! Wenn wir der Polizei helfen können – gell, Ruth? Da draußen laufen genug Verbrecher umeinander!«
Ruth tritt nach wie vor nicht in Erscheinung, und Zoe beginnt, sich zu fragen, ob Herrn Zintls Ehefrau womöglich seit zehn Jahren skelettiert im Kleiderschrank lagert.
»Die Sache ist die – wir wollen Herrn Gerlach nicht belästigen, solange er im Krankenhaus ist. Aber wir haben den Verdacht, dass das Mädchen zu einer Bande gehört. Möglicherweise wird demnächst bei Herrn Gerlach eingebrochen. Nur haben wir leider nicht das Personal, um seine Wohnung rund um die Uhr zu überwachen. Deshalb sind wir auf nachbarschaftliche Hilfe angewiesen, und es würde mich sehr beruhigen«, Zoe unterstreicht die Handynummer auf ihrer Karte und legt sie auf den Couchtisch, »wenn Sie mich verständigen könnten, falls Ihnen etwas auffällt. Und natürlich auch, wenn Sie Herrn Gerlach sehen. Es kann sein, dass er bald aus dem Klinikum entlassen wird. Da bekommen wir natürlich Bescheid. Aber es würde uns sehr beruhigen, wenn wir wüssten, dass er auch gesund und munter zu Hause angekommen ist. Wenn Sie uns also unterstützen könnten?«
Herr Zintl beteuert, sein Möglichstes zu tun.
»Dem Herrn Gerlach geht’s hoffentlich gut?«
»Oh ja. Er macht rasche Fortschritte.«
*
Am Ring geht es ab dem Opernhaus nur zentimeterweise voran. Dass Helmut Mattusch sich inmitten der jubelnden Meute, die das Spontanvolksfest am Plärrer ansteuert, völlig deplatziert fühlt und auch so aussieht – seine Miene entspricht ziemlich genau der, die Diego Maradona spätestens ab dem 2:0 in der 68. Minute zur Schau trug –, ist sein geringstes Problem – schlimmer ist die Aussicht auf den sicheren Tod durch Hitzekollaps, falls er noch eine Stunde oder länger eingekeilt im Stau stehen sollte. Was hatte er von Kascha erwartet? Wunder gewiss nicht, aber er hatte sich erhofft, dass sie einen Weg zu neuen Erkenntnissen im Fall Kovács bahnen würde, und nun sah es so aus, als sei sie ihrerseits in einer Sackgasse angelangt, aus der sie nur mit polizeilicher Hilfe wieder herausfände.
Und jetzt klingelt schon wieder das Telefon – offenbar geht es ihr nicht schnell genug. Hat die denn nicht die mindeste Ahnung, was sich hier abspielt?
»Kascha, ich bin ja schon auf dem Weg. Äh – hallo?«
»Hallo, Chef. Stör ich Sie grade?«
»Zoe? Sind Sie das? Nein, Sie stören nicht. Ich steck hier nur mitten im Stau. Was gibt’s denn?«
Kurzes Zögern am anderen Ende.
»Ich hab vor ein paar Minuten erfahren, dass der Gerlach nicht mehr im Klinikum ist.«
»Wie – nicht mehr im Klinikum? Ich dachte, der liegt noch halb im Koma?«
Es geht ein paar Meter weiter. Auf der linken Spur kommt direkt neben Mattusch ein schwarz-rot-gold bemalter Citroën 2 CV zum Stehen, der unter einer »Vier-zu-null!« skandierenden Zehnmannbesatzung in die Knie geht.
»Chef? Sind Sie noch dran? Hören Sie mich?«
»Ja. Also, was war noch mal mit dem Gerlach?«
»Der hat heute Nachmittag darauf bestanden, auf eigene Verantwortung rauszukommen. Hat sich wohl
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