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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Drake begegnete, der selbst schon über fünfzig war. Die Zeit ihrer Ehe hatte nur kurz gedauert, knapp zwei Jahre, dann war sie als Witwe mit einem Säugling zurückgeblieben. Da die Mutterschaft so spät und unerwartet in ihr Leben kam, war sie die höchste Erfüllung in Lucilla Drakes Leben. Ihr Sohn war ein Sorgenkind geworden, eine Quelle ständigen Kummers und finanzieller Auszehrung – aber nie eine Enttäuschung. Mrs Drake weigerte sich, in ihrem Sohn Victor irgendetwas anderes zu erkennen als höchstens eine liebenswerte Charakterschwäche. Victor war zu vertrauensselig – zu leicht beeinflussbar durch unpassende Kameraden, denen er Glauben schenkte. Victor hatte Pech. Victor wurde betrogen. Victor wurde hereingelegt. Er war der Handlanger böser Männer, die seine Unschuld ausnutzten. Ihr freundliches, etwas dümmliches Schafsgesicht verhärtete sich vor Starrsinn, wenn Kritik an Victor laut wurde. Sie kannte doch ihren eigenen Sohn! Er war ein lieber Junge, immer gut gelaunt, und das nutzten seine so genannten Freunde aus. Keiner wusste besser als sie, wie sehr Victor es hasste, wenn er sie um Geld bitten musste. Aber was sollte der arme Junge machen, wenn er doch wirklich in solch einer schrecklichen Notlage war? Er hatte ja sonst niemanden, an den er sich hätte wenden können.
    Trotzdem, das gab sie zu, war Georges Einladung, in sein Haus zu ziehen und sich um Iris zu kümmern, wie ein Geschenk des Himmels gekommen, just in dem Moment, als die verschämte Armut sie an den Rand ihrer Existenz gebracht hatte. Sie war im vergangenen Jahr glücklich und zufrieden gewesen, und es entsprach nicht der menschlichen Natur, es freundlich hinzunehmen, wenn man von einer jungen Senkrechtstarterin abgelöst werden sollte, die ganz moderne Effizienz und Kompetenz verkörperte und die den armen George, wie Lucilla sich einredete, sowieso nur wegen seines Geldes heiraten würde. Natürlich hatte sie es darauf abgesehen! Ein gepflegtes Heim und einen reichen, nachgiebigen Mann! Man konnte Tante Lucilla, in ihrem Alter, nicht mehr weismachen, dass irgendein junges Ding wirklich gerne Geld verdienen ging! Junge Mädchen waren genauso, wie sie immer gewesen waren – wenn sie einen Mann abkriegen konnten, der sie gut versorgte, dann zogen sie diese Lösung vor. Diese Ruth Lessing war clever, schlängelte sich in eine Vertrauensposition hinein, half George bei der Einrichtung, machte sich unentbehrlich – aber zum Glück gab es wenigstens eine Person, die durchschaut hatte, worauf sie es anlegte!
    Lucilla Drake nickte mehrmals mit dem Kopf, was ihr weiches Doppelkinn hin- und herschwabbeln ließ. Sie hob die Augenbrauen mit einem Ausdruck überlegener menschlicher Weisheit und gab das Thema zu Gunsten eines ebenso interessanten und eventuell dringlicheren auf.
    «Ich kann mich wegen der Decken nicht entschließen, Liebchen. Weißt du, ich kriege es einfach nicht heraus, ob wir bis zum nächsten Frühjahr nicht mehr wiederkommen oder ob George auch an Wochenenden aufs Land fahren will. Er will sich nicht festlegen.»
    «Ich nehme an, er weiß es nicht.»
    Iris bemühte sich, auf ein Problem einzugehen, das ihr vollkommen unwichtig erschien.
    «Wenn das Wetter schön ist, könnte es nett sein, ab und zu einmal herzukommen. Obwohl ich nicht glaube, dass ich sehr scharf darauf sein werde. Immerhin, das Haus ist da, wenn wir kommen wollen.»
    «Ja, Kind, aber man möchte es wissen. Verstehst du, wenn wir bis zum nächsten Jahr nicht herausfahren, sollte ich die Decken einmotten. Aber wenn wir kommen, dann wäre das nicht nötig, denn die Decken würden benutzt – und der Geruch von Mottenkugeln ist so unangenehm.»
    «Nun, dann nimm keine.»
    «Ja, aber es war ein sehr heißer Sommer, da gibt es eine Menge Motten. Das sagt dir jeder, es ist ein furchtbares Mottenjahr! Und Wespen natürlich auch. Hawkins erzählte mir gestern, dass er in diesem Sommer dreißig Wespennester ausgenommen hat – dreißig – stell dir das mal vor!»
    Iris dachte an Hawkins – wie er in der Dämmerung auf die Pirsch ging – Zyankali zur Hand – Zyankali – Rosemary… Warum führte alles immer an diesen Punkt zurück?
    Das dünne, flötende Geräusch, das Tante Lucillas Stimme war, tönte weiter – es hatte jetzt einen anderen Punkt erreicht.
    «– und ob wir das Silber ins Bankschließfach bringen sollen oder nicht? Lady Alexandra sagte, es gebe hier viele Einbrüche – obwohl wir natürlich gute Fensterläden haben – ich mag die Art

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