Blausäure
Mr Farraday. Ehe Sie gehen, möchte ich Sie bitten, die Mitschrift zu lesen und zu unterschreiben. Es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen, dass es Ihnen freisteht, die Aussage zu verweigern, und dass Sie das Recht haben, Ihren Anwalt hinzuzuziehen, falls Sie das wünschen.»
Stephen erschrak, aber ließ sich nichts anmerken. Er zwang sich zu einem frostigen Lächeln.
«Das klingt ja furchtbar, Herr Inspektor.»
«Wir wollen, dass wir uns verstehen, Mr Farraday.»
«Alles, was ich sage, kann gegen mich verwendet werden – so heißt es doch?»
«Wir reden nicht von ‹gegen Sie›. Sagen wir: Alles, was Sie sagen, kann als Beweismittel verwendet werden.»
Stephen antwortete leise:
«Das verstehe ich, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie noch weitere Aussagen von mir haben wollen, Inspektor. Sie haben heute Morgen alles gehört, was ich zu sagen habe.»
«Das war eine eher informelle Begegnung – nur eine erste Kontaktaufnahme. Außerdem, Mr Farraday – ich ging davon aus, dass Sie bestimmte Tatsachen lieber hier mit mir erörtern möchten. Wir versuchen, alles, was nicht direkt mit dem Fall zusammenhängt, mit so viel Diskretion wie möglich – und wie im Interesse der Justiz verträglich – zu behandeln. Ich denke, Sie verstehen, worauf ich hinauswill.»
«Ich fürchte, nein.»
Chief Inspector Kemp seufzte.
«Nun. Sie hatten mit der verstorbenen Mrs Rosemary Barton recht intimen – »
«Wer sagt das?», unterbrach ihn Stephen.
Kemp beugte sich vor und nahm ein maschinenschriftliches Dokument von seinem Schreibtisch.
«Dies ist die Kopie eines Briefes, der unter den persönlichen Hinterlassenschaften der verstorbenen Mrs Barton gefunden wurde. Das Original, das hier bei den Akten liegt, wurde uns von Miss Iris Marie ausgehändigt, die die Handschrift als diejenige ihrer Schwester identifiziert hat.»
Stephen las:
« Mein liebster Leopard… »
Eine Welle der Übelkeit überkam ihn. Rosemarys Stimme… wie sie sprach – ihn beschwor… Würde die Vergangenheit denn niemals sterben – wäre sie nie willig, sich begraben zu lassen?
Er riss sich zusammen und sah Kemp ins Gesicht.
«Sie mögen Recht in der Annahme haben, dass dieser Brief von Rosemary stammt – aber nichts deutet darauf hin, dass er an mich gerichtet war.»
«Streiten Sie ab, dass Sie die Miete des Appartements 21 Malland Mansions in Earl’s Court bezahlt haben?»
Sie wussten es also! Insgeheim fragte er sich, ob sie es die ganze Zeit über gewusst hatten.
Er zuckte mit den Schultern.
«Sie scheinen ja bestens informiert. Darf ich fragen, warum mein Privatleben derart ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden soll?»
«Es wird nicht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, es sei denn, es erweist sich als relevant im Zusammenhang mit George Bartons Tod.»
«Verstehe. Sie behaupten, dass ich erst eine Affäre mit seiner Frau hatte und ihn dann ermordete.»
«Hören Sie, Mr Farraday, ich will offen mit Ihnen reden! Sie und Mrs Barton waren sehr eng befreundet – und die Trennung erfolgte auf Ihren Wunsch, nicht auf den der Dame. Sie drohte, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, wie dieser Brief zeigt. Daraufhin starb sie – wie praktisch!»
«Sie beging Selbstmord. Das mag teilweise meine Schuld gewesen sein. Ich muss mir möglicherweise Vorwürfe machen, aber es ist nicht Sache der Justiz.»
«Es mag Selbstmord gewesen sein – aber vielleicht auch nicht. George Barton glaubte nicht an Selbstmord. Er begann zu recherchieren – und starb. Dieser Ablauf legt gewisse Schlüsse nahe.»
«Ich sehe nicht ein, warum Sie ausgerechnet mich – nun – aufs Korn genommen haben.»
«Sie geben aber zu, dass Mrs Bartons Tod zu einem sehr gelegenen Zeitpunkt kam? Ein Skandal hätte sich recht nachteilig auf Ihre Karriere ausgewirkt, Mr Farraday.»
«Es hätte keinen Skandal gegeben. Mrs Barton hätte Vernunft angenommen.»
«Wer weiß! Wusste Ihre Frau von dieser Affäre, Mr Farraday?»
«Natürlich nicht.»
«Sind Sie sich da ganz sicher?»
«Absolut. Meine Frau hat keine Ahnung davon, dass zwischen Mrs Barton und mir etwas anderes als Freundschaft war. Und ich hoffe, dass sie es nie erfährt.»
«Neigt Ihre Frau zu Eifersucht, Mr Farraday?»
«Überhaupt nicht. Sie hat in Bezug auf mich nie die geringste Eifersucht erkennen lassen. Dazu ist sie viel zu vernünftig.»
Darauf ging der Inspektor nicht ein. Stattdessen sagte er:
«Sind Sie zu irgendeinem Zeitpunkt im vergangenen Jahr im Besitz von
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