Blausäure
sie zu Hause zu besuchen, damit ihre Familie nicht merkte, wie vertraut die Beziehung allmählich wurde. Und schließlich haben Sie ihr einzureden versucht, Sie heimlich zu heiraten.»
«Wissen Sie», sagte Anthony, «es ist wirklich verblüffend, wie Sie das alles herausgefunden haben – ich meine nicht das mit der Rüstungsindustrie – ich meine meine Drohungen gegenüber Rosemary, und die kleinen Zärtlichkeiten, die ich Iris ins Ohr geflüstert habe. Das alles fällt doch sicher nicht in die Zuständigkeit von M.I.5?»
Race sah ihn scharf an.
«Sie müssen mir eine ganze Menge erklären, Morelli.»
«Keineswegs. Angenommen, Ihre Fakten stimmen, was soll’s? Ich habe meine Gefängnisstrafe verbüßt. Ich habe ein paar interessante Bekanntschaften geschlossen. Ich habe mich in ein reizendes Mädchen verliebt und bin natürlich ungeduldig, sie zu heiraten.»
«So ungeduldig, dass Sie es lieber hätten, wenn die Hochzeit stattfände, bevor ihre Familie etwas über Ihr Vorleben herausgefunden hat. Iris Marie ist eine sehr reiche junge Frau.»
Anthony nickte freundlich.
«Ich weiß. Wo Geld ist, neigen die Familien zu schrecklicher Herumschnüffelei. Und Iris, müssen Sie wissen, weiß nichts über meine trübe Vergangenheit. Um ehrlich zu sein, ich wünschte, es bliebe dabei.»
«Ich fürchte, sie wird alles erfahren.»
«Ein Jammer!», sagte Anthony.
«Anscheinend ist Ihnen nicht klar – »
Anthony unterbrach ihn mit einem Lachen.
«Oho! Ich kann auch eins und eins zusammenzählen! Rosemary Barton wusste von meiner kriminellen Vergangenheit, also brachte ich sie um! Daraufhin schöpfte George Barton Verdacht, also brachte ich ihn um! Jetzt bin ich hinter Iris’ Moneten her! Es klingt alles sehr plausibel und logisch, aber Sie haben nicht das Fitzelchen eines Beweises!»
Race blickte ihn eine Zeit lang aufmerksam an. Dann erhob er sich.
«Alles, was ich gesagt habe, stimmt», sagte er. «Und es ist alles verkehrt.»
Anthony beobachtete ihn gespannt.
«Was ist verkehrt?»
«Sie sind verkehrt.»
Race ging langsam im Zimmer auf und ab.
«Es hing alles so wunderschön zusammen, bis ich Sie sah – aber jetzt, wo ich Sie gesehen habe, stimmt es nicht. Sie sind kein Betrüger. Und wenn Sie kein Betrüger sind, dann gehören Sie zu uns. Habe ich Recht?»
Anthony sah ihn schweigend an. Auf seinem Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus. Leise, mit verhaltenem Atem, fing er an zu summen.
‹«Denn des Colonels Lady und Judy O’Grady sind Schwestern vom selben Schlag…› Ja, witzig, wie man sich untereinander erkennt. Deshalb hab ich versucht, Ihnen aus dem Weg zu gehen. Hatte Angst, Sie würden mich auf Anhieb durchschauen. Es war zu dem Zeitpunkt wichtig, dass niemand etwas wusste – bis gestern war es wichtig. Jetzt ist die Bombe zum Glück geplatzt! Eine ganze Bande internationaler Saboteure ist uns ins Netz gegangen. Ich habe drei Jahre lang an diesem Auftrag gearbeitet. Hab bestimmte Versammlungen besucht, unter Arbeitern agitiert, mir den richtigen Ruf verschafft. Schließlich wurde dafür gesorgt, dass ich ein großes Ding drehte und verurteilt wurde. Die Sache musste authentisch wirken, damit ich meine Glaubwürdigkeit etablieren konnte.
Als ich entlassen wurde, ging es richtig los. Nach und nach rückte ich immer weiter ins Zentrum der Dinge vor – ein großes, internationales Netz, das von Mitteleuropa aus geleitet wurde. Als deren Agent kam ich nach London und wohnte im Claridge. Ich hatte den Auftrag, mich mit Lord Dewsbury gut zu stellen – das war mein Job. Der Schmetterling der guten Gesellschaft! Der attraktive junge Lebemann – in dieser Rolle habe ich Rosemary Barton kennen gelernt. Eines Tages musste ich zu meinem Schrecken hören, dass sie wusste, dass ich in Amerika unter dem Namen Tony Morelli im Gefängnis gesessen hatte. Ich hatte ihretwegen Angst! Die Leute, mit denen ich arbeitete, hätten sie ohne Zögern aus dem Weg räumen lassen, wenn sie geahnt hätten, dass sie etwas wusste. Ich tat mein Möglichstes, um sie in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie den Mund halten würde, aber ich machte mir keine großen Hoffnungen. Rosemary war das geborene Plappermaul. Ich dachte, das Beste wäre, mich fortzuscheren – und dann sah ich Iris die Treppe herunterkommen, und ich schwor mir, nach Erledigung meines Auftrags zurückzukehren und sie zu heiraten.
Als der aktive Teil meiner Arbeit vorbei war, ließ ich mich wieder blicken und nahm Kontakt mit Iris auf,
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