Blauwasserleben
Glas Wasser auf einen Beitisch. Ihre Tochter traute sich nicht, sich
neben mir niederzulassen. Erst als ich Kinderbücher aus meiner Tasche holte,
wurde sie neugierig. Ich konnte ihr Verhalten nachvollziehen, denn auch ich war
nervös. Doch nachdem ich angefangen hatte, die englischen Bücher vorzulesen,
wurde Nyhati immer zutraulicher. Als ich sie mit einbezog und Fragen stellte,
merkte ich, dass ihr Englisch schon ganz gut war. Nach einer Weile verschwand
die Mutter in der Küche und lieà uns alleine. Sie hatte wohl gemerkt, dass sie
mir vertrauen konnte.
Die Stunde war schnell um. Danach besuchte ich Nyhati zweimal die
Woche und lernte intensiv mit ihr, oft blieb ich länger als die sechzig
Minuten. Von Mal zu Mal traute sich das Mädchen mehr zu und fing auch an, von
ihrem Leben zu erzählen. Oft musste ich sie bremsen, weil wir ja Grammatik und
Vokablen lernen sollten, damit ihre Schulnoten besser wurden. Es war schön, zu
sehen, wie Nyhati Fortschritte machte. Einmal lud ich sie zum Schwimmen im Pool
zu uns ins Serviceapartment ein. Aber die Mutter lehnte ab; das sei zu
gefährlich, ihre Tochter könne nicht schwimmen. Schade, dachte ich, und nahm
mir vor, irgendwann einmal das Projekt »Schwimmkurs« bei SINDA anzusprechen.
Das schüchterne, aber freudige Lächeln von Nyhati, das ich jedes Mal
erblickte, wenn ich an der Gittertür von Wohnung 2 A stand,
werde ich nie vergessen.
»Ich habe den Katamaran von Wolfgang Hausner gesehen! Vom
Flugzeug aus, ganz bestimmt! Er liegt in Borneo.« Stefan war gerade erst von
einer Dienstreise in Manila zurückgekehrt und kam in heller Aufregung in unser
Apartment gestürmt.
»Wie kannst du von einem kleinen Flugzeugfenster aus erkennen, dass
es das Boot von Hausner war?« Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er das Schiff
seines Segelidols aus einer solchen Höhe erkannt haben wollte.
»Es war Hausner, ganz sicher. Sein Katamaran ist ein Open Bridge . Er ist aus Holz und hat keinen Aufbau. Marke
Eigenbau. Hausner ankert vor Kota Kinabalu. Jede Wette!«
Den Ausgang meiner Wetten mit Stefan kannte ich. Ich verlor
praktisch immer.
Wolfgang Hausner war Stefans groÃes Vorbild, sämtliche Bücher hatte
er von ihm gelesen. Als junger Mann war Hausner von Wien aus aufgebrochen, ohne
nennenswerten Geldbesitz, um Australien frei und ungebunden zu erleben. Mit 24Â Jahren baute er sich einen achtzehn Meter langen Katamaran, die Taboo . Er hatte nicht die geringste Ahnung vom Segeln und
Navigieren, eignete sich aber nach und nach alles an.
Mit der Taboo umsegelte er die Welt, er
war der Erste, der es mit einem Katamaran einhand schaffte â damals waren noch
viel weniger Segler unterwegs. Dann, sieben Jahre später, strandete er mit
seinem Schiff auf einem unverzeichneten Papua-Neuguinea. Hausner hatte so viel
Spaà am Segeln gefunden, dass er sich sofort die Taboo II baute. Heute steuert er die Taboo III , immer noch auf
der Suche nach Abenteuern. Hausner und seine Südseegeschichten, davon konnte
Stefan nicht genug bekommen. Von den Abenteuern eines raubeinigen Mannes, von
der groÃen Herzlichkeit der Einheimischen und von einem Leben in freier Liebe.
Während ich weiter unser Abendessen zubereitete, blätterte Stefan in
der letzten Yacht -Ausgabe, einem Segelmagazin, das
ein Freund, der bei uns zu Besuch war, liegen gelassen hatte.
»Da gabâs doch diese Anzeige â¦Â«, murmelte Stefan vor sich hin.
»Was für eine Anzeige?«
»Ah, hier ist es, 110 Euro pro Tag pro Mann. Das müssen wir machen.«
Hausner hatte doch tatsächlich in dem Heft inseriert â er bot Chartertrips an
für Leute, die mit ihm segeln wollen.
Ãber eine österreichische Agentur, die in dem Inserat angegeben war,
buchten wir eine von seinen Chartertouren. Es war das erste Mal, dass Stefan
sich um die Organisation einer unserer Reisen kümmerte. Und es wurde der
teuerste Urlaub, den wir je gemacht haben. Aber auch einer der schönsten.
 Wir flogen zunächst nach Kota
Kinabalu, Hauptstadt von Borneo. Stefan hatte ohne Probleme Urlaub bekommen,
und ich genoss sowieso mein neues Leben, war glücklich, nicht mehr als
Produktmanagerin arbeiten zu müssen, sondern Kinder unterrichten zu dürfen. Ich
tat etwas zutiefst Sinnvolles und hatte gerade erst in einem neu eröffneten
Yogastudio einen Kurs bei dem indischen Lehrer Dr. Kajal Pandit genommen und
eine ungeahnte
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