Blauwasserleben
innere Ruhe in mir entdeckt.
Wolfgang Hausner holte uns vom Flughafen Kota Kinabalu mit einem
uralten Pkw ab. Wie viele Fotos hatte mir Stefan nicht schon von diesem Skipper
gezeigt â er war damals an die sechzig â, und sie hatten kein falsches Bild
vermittelt. Er sah genauso aus wie auf den Fotos: groÃ, drahtig, extrem
sportlich, graue Haare, ein kräftiger Schnauzer. Ein Mann mit einer groÃen
Ausstrahlung, einem warmen Lachen, eher unauffällig gekleidet, keiner, der
meinte, etwas darstellen zu müssen.
Kräftig schüttelte er uns die Hand und lotste uns zielstrebig aus
dem Flughafengebäude in Richtung Auto.
Stefan sagte ungewöhnlich wenig, die Begegnung mit seinem Idol hatte
ihn anscheinend sprachlos gemacht. Ich musste schmunzeln.
»Bevor wir aufs Boot fahren«, erklärte Hausner, »muss ich kurz noch
nach Hause, um mich von meiner Tochter zu verabschieden. Gerti, meine Frau, ist
gerade in einem Aschram in Indien, da kümmere ich mich allein um Vaitea. Sie
ist sechzehn, da kann man eine Menge Unsinn anstellen, aber sie ist sehr
vernünftig.« Er zwinkerte uns zu, und vom ersten Moment an war es, als würden
wir uns schon ewig kennen. »AuÃerdem brauche ich noch einige Sachen für den
Katamaran.«
»Segelt noch jemand mit?«, fragte Stefan, der seine Sprache
wiedergefunden hatte.
Hausner nickte, während er sich ans Steuer setzte. »Ein Fotograf und
Journalist. Walter heiÃt der. Er will für die Yacht einen Artikel über mich schreiben.«
»Ich dachte immer, du lebst auf den Philippinen? Wieso Kota
Kinabalu?« Unter Seglern duzt man sich, egal wie jung oder alt man ist.
Hausner stieà einen tiefen Seufzer aus und sagte: »Lieber wäre ich
ausschlieÃlich auf dem Wasser. Zwischen vier Wänden halte ich es nie lange aus.
Aber noch brauchen wir eine feste Bleibe, weil Vaitea ihre Schule auf Borneo
beenden soll.«
Während wir weiterfuhren und ich die vielen Menschen auf der StraÃe
betrachtete, dachte ich daran, ob Stefan und ich nach unserem Leben auf den
Ozeanen auch nicht mehr in der Lage wären, irgendwo sesshaft zu werden. Doch im
Grunde war es müÃig, sich zu diesem Zeitpunkt den Kopf darüber zu zerbrechen â
wir besaÃen schlieÃlich noch nicht einmal ein eigenes Schiff.
Eine halbe Stunde später erreichten wir die Wohnung Hausners. Vaitea
saà an einem Tisch in der Wohnküche vor einem aufgeschlagenen Buch. Ihre
braunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Mit ihren sechzehn Jahren
war sie eine hübsche junge Frau.
»Hallo«, begrüÃte sie uns.
»Hey, das ist meine Freundin Heike, und ich bin der Stefan.« Stefan
antwortete für uns beide.
Eine Weile musterte sie uns mit ihren lebhaften hellen Augen,
während Wolfgang die Dinge zusammensuchte, die er am Flughafen erwähnt hatte,
tiefgefrorene Joghurtkulturen, Schmierkäse, ein paar Kabel, Werkzeug.
 »Wieso macht ihr eigentlich
eine Tour mit meinem Vater?«, fragte schlieÃlich Vaitea.
»Heike und ich wollen irgendwann auch mal auf einem Katamaran um die
Welt segeln, wie dein Vater«, erklärte Stefan. »Bestimmt können wir eine Menge
von ihm lernen.«
Vaitea verdrehte die Augen, als sie das hörte. »Und habt ihr auch an
eure Rente gedacht?« Stefan und ich sahen uns verdutzt an.
»Rente?«, fragte ich nach. Welches sechzehnjährige Mädchen denkt an
so etwas?
»Ja, Rente, Rentenversicherung. Oder sind das Fremdwörter für euch?«
»Eigentlich nicht«, bemerkte Stefan. »Aber daran können wir denken,
wenn wir älter sind.«
»Kenne ich. Typisch.« Dabei blickte sie streng in Richtung ihres
Vaters.
Es lag auf der Hand, dass Vaiteas Leben mit ihren Eltern auf dem
Meer nicht immer einfach gewesen war, vielleicht auch nicht für ihre Mutter.
»Auf gehtâs«, sagte in diesem Moment Hausner und erlaubte es uns
damit, uns vor der sich anbahnenden Diskussion mit Vaitea davonzustehlen.
Bereits am ersten Abend auf der Taboo
III erzählte uns Wolfgang die verrücktesten Geschichten, etwa die, wie
er in Australien nicht das geringste Geld hatte und auf Kängurujagd ging,
Salzwasserkrokodile schoss, um die Häute zu verkaufen, und in einem
Goldbergwerk schuftete, um das Geld für sein erstes selbst gebautes Segelbot zu
verdienen. Er berichtete alles in einem ruhigen Ton, nie trumpfte er mit seinen
Geschichten auf.
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