Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben
Autoren: Heike Dorsch
Vom Netzwerk:
Nicht
einsteigen ist aber keine Option. Ich würde es mir nie verzeihen. Ich will und
muss alles tun, um die Wahrheit zu erfahren. Wenigstens will ich es versuchen.
    Ich bin unendlich traurig. Auf einem Bildschirm vor dem Gate sehe
ich Atolle, Taucher zwischen bunten Fischen schwimmen, schneeweiße Strände. Das
war mein Leben mit Stefan. Damals. Heute ist alles anders. Nichts wird mehr so
sein wie früher. Ich habe Angst. Ich bin müde, erschöpft. Was wird mich dort
erwarten? Ich schlucke noch eine Tablette. Ich habe einen Deal mit mir gemacht:
Diese zwei Wochen in der Südsee darf ich Beruhigungsmittel und Schlaftabletten
schlucken, so viel ich mag – danach, wenn ich zurück in der Heimat bin, in
Deutschland, höre ich damit auf. Dann werde ich wieder Albträume haben und
diese unendliche Leere spüren, damit meine Seele nach und nach alles
verarbeiten und verheilen kann.
    Mich tröstet, dass ich am Flughafen von Papeete von der Polizei
abgeholt werde, auch weiß ich, dass Daphne und Vries extra wegen mir nach
Tahiti gesegelt sind. Sie wollen für mich da sein, wie damals.
    Der SEK -Leiter, der Übersetzer Joseph
und ein weiterer Polizist winken mir durch die uns noch trennende Glaswand zu,
jeder von ihnen hält einen Blumenkranz in der Hand, so wie es die polynesische
Höflichkeit gebietet. Familienmitgliedern, aber auch Gästen überreicht man zur
Begrüßung einen Blumenkranz aus frischen Blüten. Diese hier haben einen
intensiven, einen ganz speziellen Duft, einen Südseeduft, der einfach umwerfend
ist.
    Die drei Männer fahren mich zum Hauptquartier der Polizei, wo sie
mich in einem Apartment mit Schlaf- und Wohnzimmer, Bad und Küche unterbringen
(und in dem ich auch die schönen Blumenkränze aufhängen kann – in jedem Raum
einen, damit sich der Duft verteilt). Das Hauptquartier der Gendarmerie liegt
mitten im Zentrum von Papeete, es gleicht einer Kaserne. Einige der Gendarmen
leben mit ihren Familien in diesem Komplex; das macht mir deutlich, dass ich in
einem militärischen Bereich bin. Ich fühle mich in ihrer Nähe sicher.
    Der SEK -Chef sagt, bevor er sich von mir
verschiedet: »Du kannst mich jederzeit anrufen. Und ich meine auch jederzeit.
Also Tag und Nacht.«
    Nach dem Fortgang der drei Männer versuche ich, Daphne und Vries
eine SMS zu schicken, merke aber, dass ich mir
zuerst die SIM -Karte meines Handys aufladen muss,
denn meine alte ist, wie mir mitgeteilt wird, leer. Der Emergencyplan hätte
nicht einmal funktioniert – zumindest heute Nacht.
    Montag, 16. April
    Vormittags lade ich meine SIM -Karte
auf, nachmittags habe ich einen Termin bei meiner Anwältin, einer schmalen Französin
mit kurz geschnittenen dunkelbraunen Haaren, die mit ihrer Familie seit Jahren
in Papeete lebt und lieber Trekkingschuhe trägt als Pumps. Der Typ
durchgestylte Französin ist sie nicht, was mir gut gefällt. Wir gehen noch
einmal alles durch. Meine Anwältin 
erklärt mir, dass mir laut den hiesigen Verordnungen des Zivilgerichts
ein paar Tausend Euro an Entschädigung zustehen. Jetzt weiß ich, was ein Mord
wert ist. Ein paar Tausend Euro für Stefan.
    Meine Sorge, ganz auf den Anwaltskosten sitzen zu bleiben, ist mir
dadurch genommen. Meine Anwältin sagt mir auch, dass ich morgen frei und am
Mittwoch einen Termin beim Richter habe. »Parallel müssen wir die Unterlagen
studieren und die Aussagen, damit wir für die Rekonstruierung vorbereitet
sind.«
    Noch in Deutschland hatte man mir mitgeteilt, dass ein Teil der
Gegenüberstellung sein würde, zusammen mit Arihano vor Ort den Tatvorgang
nachzuvollziehen. Zudem würde ich im Büro des Richters Detailfragen klären
müssen – ein weiteres Mal mit dem in U-Haft sitzenden Marquesaner.
    Wieder fließen Tränen. Tränen, die damals nicht geflossen sind, als
man mich auf der Polizeistation auf Nuku Hiva verhörte.
    Nach dem Termin bei der Anwältin gehe ich in einen Supermarkt.
Tatsächlich habe ich vergessen, wie teuer hier alles ist. Ich habe aber auch
vergessen, wie schön Französisch-Polynesien ist. Der Duft der Blumen, das Singen
der Vögel, die Hitze, die fröhlichen Menschen mit den Blüten im Haar. Schon
viel bin ich gereist, aber diese Südseeinselwelt ist besonders. Auch Stefan
hatte das gespürt.
    Kurz vor Sonnenuntergang, gegen sechs, spaziere ich an der Promenade
entlang. Der Himmel ist rot,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher