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Blauwasserleben

Blauwasserleben

Titel: Blauwasserleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Dorsch
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Ausschau zu
halten. Es ist schön hier, dieser Ort muss ihm gefallen haben.
    Langsam setze ich mich auf den Boden, mit Blick auf die Feuerstelle.
Schweigen. Ich nehme Abschied von Stefan. Denke daran, was wohl passiert wäre,
wenn ich mit ihm mitgegangen und nicht auf dem Boot geblieben wäre. Hätten wir
eine Chance gehabt? Zwei gegen einen? Zwei ohne Waffe gegen einen Bewaffneten?
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Und was wäre passiert, wenn ich mich nicht
befreit hätte? Hätte er mich zu dem toten Stefan geführt und ich hätte zusehen
müssen, wie er ihn verbrennt? Hätte er mich vorher vergewaltigt, getötet? Nein,
mit diesen Fragen will ich mich jetzt nicht quälen.
    Ich will an Stefan denken. Siebzehn Jahre waren wir zusammen, fast
vier Jahre haben wir unseren Traum gelebt – sind gesegelt und haben dabei die
Welt gesehen, andere Menschen und Kulturen kennengelernt. Und jetzt sind wir
beide aus dem Traum gefallen. Stefans Sicht vom Tod war immer sehr abgeklärt
gewesen. Als ich im Juli 2011 erfuhr, dass mein Vater nach langer Krankheit
gestorben war, und ich in Tränen ausbrach, sagte Stefan zu mir: »Tot ist tot.
Warum weinst du?«
    Plötzlich hören wir ein Donnern.
    Â»Rennt!«, ruft ein Polizist. »Steinschlag. Lauft schnell!«
    Alle rennen, die Polizisten hasten aber noch aus einem anderen Grund
los: Sie wollen sichergehen, dass dort oben auf dem Geröllhaufen nicht der
Täter ist und einen Steinschlag ausgelöst hat. Die Polizei geht, wie ich daran
sehe, nicht von einem Unfall aus, obwohl ein solcher in diesem gefährlichen
Gebiet plausibel wäre. Ein solcher Brocken, der den Kopf trifft – kaum jemand
wird das überleben. Stefan könnte sich beim Herumklettern ja das Genick
gebrochen haben. Und weil Arihano nicht wusste, wie er es mir sagen sollte, hat
er mit dem Feuer alle Hinweise beseitigen wollen. Der Staatsanwalt schüttelt
den Kopf, während wir in Sicherheit sind, auf die Polizisten warten und ich ihm
meine Theorie dargelegt habe. Er sagt: »Ich vermute, das war Raubmord.«
    Der Steinschlag war nichts weiter als ein natürlicher Steinschlag
gewesen, das teilen uns die wiederkehrenden SEK -Leute
mit. Der Staatsanwalt hat nichts anderes erwartet. Ich muss daran denken, wie
schlecht Stefan darin war, Gefahren frühzeitig zu erkennen. Ein
Fingerspitzengefühl für sie zu haben. In der Welt, in der er lebte, war alles
harmonisch. Sagte ich über einen Menschen, bei dem würde etwas nicht stimmen,
lachte er nur, ging einfach darüber hinweg, meinte, ich würde alles viel zu
schwarzsehen. Was, wenn der Täter ihn mit seinem Gewehr bedroht hat und Stefan
einfach nur über ihn lachte, ihn nicht ernst genommen hat? Vielleicht rastet so
ein Mensch dann aus? Vielleicht hat Stefan die Situation völlig falsch
eingeschätzt.
    Als wir nach vier Stunden wieder in die Bucht kommen, müssen wir auf
das Speedboot warten. Wir gehen hinüber in das am Strand eingerichtete Lager,
in dem in den letzten Tagen zwanzig SEK -Leute
unermüdlich im Einsatz waren.
    Das Camp ist offen, sehr spartanisch, die Männer schlafen in
Hängematten. Ein paar spielen Karten an dem einzigen Tisch, einer duscht sich
vor der Überdachung mit einem Wasserschlauch ab. Ich setze mich zu den Leuten
an den Tisch. Sie bieten mir etwas zu essen und zu trinken an.
    Der Staatsanwalt und der SEK -Chef warten
am Strand. Sie wollen den Männern wohl ihre wenige Freizeit gönnen. Vries ist
auch bei ihnen.
    Später erfahre ich, dass an genau diesem Tisch die Asche der
Feuerstelle durchsucht wurde – denn als sie gefunden wurde, fing es zu regnen
an, und man packte die Asche in Plastiksäcke, um sie im Trockenen nach
Gegenständen zu untersuchen.
    In der Gegenwart der SEK -Leute fühle ich
mich sicher, sie geben mir die Gewissheit, das alles Menschenmögliche getan
wird, den frei herumlaufenden Täter zu fassen und Klarheit in die Sache zu
bringen. Das SEK – das ist nicht nur eine Einheit,
ein Name, ein Sondereinsatzkommando, nein, dadurch, dass ich in ihre Gesichter
sehe, unsere Augen sich treffen, sind es Menschen, die mir helfen, mich
unterstützen. Und vor allem sind es keine Mitleidsblicke, wie ich sie später
noch oft erleben soll, die sie mir zuwerfen, nein, es sind Blicke, die mir
erzählen, wie stark ich bin, dass ich mich gewehrt und überlebt habe.

Sechs Monate später –

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