Bleakhouse
Peepy.
»O du undankbarer, nichtsnutziger, hartherziger Junge!« rief Miß Jellyby mit Tränen in den Augen. »Nie wieder werde ich mir soviel Mühe geben, dich anzuziehen.«
»Ja, ja, ich will gehen, Caddy!« rief Peepy, der ein herzensgutes Kind war und den jetzt der Kummer seiner Schwester so rührte, daß er auf der Stelle folgte.
»Es ist kein Grund zu weinen«, entschuldigte sich die arme Miß Jellyby, »aber ich bin ganz abgerackert. Ich habe bis heute früh zwei Uhr Adressen für die neuen Zirkulare geschrieben. Ich hasse die ganze Geschichte so, daß mir schon beim Gedanken daran der Kopf weh tut, bis ich nicht mehr aus den Augen schauen kann. Und sehen Sie nur das arme Kind an! Haben Sie schon jemals eine solche Vogelscheuche gesehen?«
Glücklicherweise sich der Mängel seiner äußern Erscheinung nicht bewußt, saß Peepy auf dem Teppich und sah aus seiner Höhle hinter einem Pianobein friedlich hervor und aß seinen Kuchen.
»Ich habe ihn in die andre Ecke des Zimmers geschickt«, erklärte Miß Jellyby und rückte ihren Stuhl näher an uns heran, »damit er nicht hört, was wir miteinander sprechen. Diese Knirpse sind so gescheit. Ich wollte vorhin sagen, es geht wirklich bei uns schlimmer zu als je. Papa wird demnächst bankrott sein, und dann, hoffe ich, ist Mama zufrieden. Und wem werden wir es zu danken haben? Ma!«
Wir sagten, wir hofften, Mr. Jellybys Verhältnisse würden sich gewiß nicht so verschlimmert haben.
»Das ist alles sehr freundlich von Ihnen, aber hoffen nützt nichts«, entgegnete Miß Jellyby und schüttelte den Kopf. »Pa sagte mir erst gestern morgen – und er ist schrecklich unglücklich – daß er den Sturm diesmal nicht überstehen könnte. Es würde mich auch wirklich wunder nehmen. Wenn uns die Lieferanten all ihren Mist ins Haus schicken und das Gesinde macht, was es will, und ich keine Zeit habe, es besser einzurichten, selbst wenn ich es verstünde, und Ma sich um gar nichts kümmert, so möchte ich wissen, wie Pa den Sturm diesmal aushalten sollte. Ich erkläre, wenn ich Pa wäre, ich liefe davon.«
»Liebes Kind«, sagte ich lächelnd, »Ihr Papa denkt jedenfalls an seine Familie.«
»Ja, natürlich. Familie ist wunderschön, Miß Summerson, aber welche Bequemlichkeit bietet ihm seine Familie? Seine Familie besteht aus Rechnungen, Schmutz, Verschwendung, Lärm, Treppenhinunterfallen, Durcheinander und Herabgekommenheit. Seine kopfüber treibende Häuslichkeit ist von Samstag zu Samstag ein einziger großer Waschtag, nur wird dabei nichts gewaschen.«
Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden und wischte sich die Augen.
»Pa tut mir so leid, und ich bin so wütend auf Ma, daß ich keine Worte finden kann, um mich auszudrücken. Aber ich lasse es mir nicht länger gefallen, dazu bin ich entschlossen. Ich will nicht mein ganzes Leben lang ein Sklave sein und von Mr. Quale um mich werben lassen. Das könnte mir so passen, einen Philantropen zu heiraten. Als ob ich nicht schon genug von dem Zeug hätte.«
Ich muß zugeben, daß ich selbst recht böse auf Mrs. Jellyby war, als ich dieses vernachlässigte Mädchen vor mir sah und anhörte und wußte, wieviel bittere Wahrheit in allem war, was sie sagte.
»Wenn wir nicht so vertraut geworden wären, als Sie uns damals besuchten«, fuhr Miß Jellyby fort, »würde ich mich geschämt haben, heute hierher zu kommen, denn ich weiß, was für eine Figur ich in Ihrer beider Augen abgebe; aber ich habe mich entschlossen, Sie zu besuchen, zumal ich Sie wahrscheinlich nicht wiedersehen werde, wenn Sie nächstens wieder nach London kommen.«
Sie sagte dies so bedeutsam, daß Ada und ich einander einen Blick zuwarfen, ahnend, daß noch mehr kommen werde.
»Nein«, rief sie und schüttelte den Kopf. »Durchaus unwahrscheinlich. Ich weiß, ich kann mich auf Sie beide verlassen. Sie werden mich nicht verraten. Ich bin verlobt.«
»Ohne Wissen Ihrer Eltern?« fragte ich.
»Aber, du lieber Gott im Himmel, Miß Summerson«, rechtfertigte sie sich in leidenschaftlichem, aber keineswegs unfreundlichem Ton. » Kann es denn anders sein ? Sie wissen doch, wie Ma ist, und ich darf den armen Papa doch nicht dadurch noch unglücklicher machen, daß ich es ihm jetzt schon mitteile.«
»Aber wird es ihn denn nicht noch unglücklicher machen, wenn Sie ohne sein Wissen und seinen Willen heiraten?«
»Nein. Ich hoffe nicht. Ich würde alles aufbieten, es ihm bei mir behaglich zu machen, wenn er mich besuchte. Und Peepy und die andern
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