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Bleakhouse

Bleakhouse

Titel: Bleakhouse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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meine Freunde, haben wir sonst nichts genossen? Ja! Meine Freunde. Was haben wir sonst noch genossen? Geistige Nahrung? Ja. Von wem stammte dieser geistige Nutzen? Mein junger Freund, tritt vor!«
    Der so angeredete Jo zögert verlegen, weicht erst einen Schritt zurück, voller Argwohn gegenüber den Absichten des beredten Mr. Chadband, und geht dann zu ihm.
    »Mein junger Freund«, sagt Chadband, »du bist uns eine Perle, du bist uns ein Diamant, du bist uns ein Edelstein, du bist uns ein Juwel. Und warum, mein junger Freund?«
    »Ich woaß net«, sagt Jo. »Was woaß denn i.«
    »Mein junger Freund, eben weil du nicht die Erkenntnis hast, daß du uns ein Edelstein und ein Juwel bist, weißt du es nicht. Denn was bist du, mein junger Freund? Bist du ein Tier des Feldes? Nein. Ein Vogel der Luft? Nein. Ein Fisch des Meeres oder des Flusses? Nein. Du bist ein menschlicher Knabe, mein junger Freund. Ein menschlicher Knabe. O glorreich, ein menschlicher Knabe zu sein. Und warum ist es glorreich, mein junger Freund? Weil du fähig bist, die Lehren der Weisheit zu empfangen, weil du fähig bist, Gewinn zu ziehen aus der Rede, die ich jetzt zu deinem Besten halten will, weil du weder ein Stecken noch ein Stab noch ein Stock noch ein Stein noch ein Pfosten noch ein Pfeiler bist.
O Himmelsstrom, so klar und rein,
ein frommer Knabe noch zu sein!
     
    Und fühlst du jetzt in diesem Strome deine Glieder, mein junger Freund? Nein. Warum kühlst du jetzt nicht in diesem Strom deine Glieder? Weil du in einem Zustande der Finsternis bist, weil du in einem Zustande der Umnachtung bist, weil du in einem Zustande der Sündhaftigkeit bist, weil du in einem Zustande der Knechtschaft bist. Mein junger Freund, was ist Knechtschaft? Lasset uns das jetzt ergründen im Geiste der Liebe.«
    Bei diesem bedrohlichen Stadium der Predigt fährt Jo, der jetzt ganz den Verstand verloren zu haben scheint, mit dem rechten Arm über sein Gesicht und gähnt fürchterlich. Mrs. Snagsby spricht entrüstet die Vermutung aus, daß er ein Kind des Erzfeindes sei.
    »Meine Freunde«, sagt Mr. Chadband, faltet sein so viel gelästertes Kinn wieder zu einem fetten Lächeln und blickt um sich. »Es ist recht, daß ich gedemütigt werde. Es ist recht, daß ich geprüft werde, es ist recht, daß ich gegeißelt werde, es ist recht, daß ich gezüchtigt werde. Ich strauchelte vergangnen Sabbat, als ich mit Hochmut meiner dreistündigen Erbauung gedachte. Die Schuld ist getilgt. Der Gläubiger hat den Zehent genommen. O lasset uns jauchzen im Herrn! O lasset uns jauchzen!«
    Große Ergriffenheit Mrs. Snagsbys.
    »Meine Freunde«, schließt Chadband und blickt um sich. »Ich will jetzt nicht mit meinem jungen Freund fortfahren. Willst du morgen zu mir kommen, mein junger Freund, und diese gute Dame fragen, wo ich zu finden bin, auf daß du die Predigt hörst? Oder willst du den Tag darauf kommen wie die durstige Schwalbe und den Tag nach diesem und viele folgende schöne Tage, um die Predigt zu hören?« – So spricht Mr. Chadband mit der Grazie einer Kuh.
    Jo, dem es vor allem drum zu tun scheint, fort zu kommen, nickt linkisch. Mr. Guppy wirft ihm einen Penny hin, und Mrs. Snagsby ruft Guster zu, ihn sicher aus dem Hause zu geleiten. Aber ehe er hinuntergeht, wird er von Mr. Snagsby mit Speiseresten vom Tisch beladen, die er mit dem Arm fest an sich drückt.
    Mr. Chadband – von dem seine Widersacher sagen, es sei zwar kein Wunder, daß er beliebig lang solch gräßlichen Unsinn fortsprechen könne, aber ganz bestimmt eines, daß er wieder aufhöre, wenn er einmal die Kühnheit gehabt habe, anzufangen – Mr. Chadband zieht sich in das Privatleben zurück, bis die Zeit kommt, wo er ein kleines Kapitalabendessen in Tran umwandelt.
    Jo wandert nach der Blackfriars Brücke, wo er eine heiße steinerne Ecke findet, um dort sein Mahl zu halten.
    Und da sitzt er und kaut und nagt und schaut hinauf zu dem großen Kreuz auf der Kuppel der St. Pauls-Kathedrale, das über einer rot und violett gefärbten Dunstwolke funkelt. Nach seinem Gesicht zu urteilen, ist ihm das heilige Symbol der Gipfelpunkt von Verwirrung und Unverständlichkeit inmitten der Wirrnis der Stadt. So golden, so hoch oben, so weit außer seinem Bereich.
    Da sitzt er. Die Sonne geht unter, schnell rinnt der Fluß dahin, und in zwei Strömen wogt das Menschengewühl vorüber – vorwärts getrieben zu irgendeinem Zweck und zu einem einzigen Ziel... Dann jagt der Konstabler ihn wieder fort und herrscht

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