Bleakhouse
In bezug auf euch beide«, sagte Mr. Jarndyce gütig.
»Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo ihr euch einander versprechen sollt. Es ist nicht recht, und ich darf nicht damit einverstanden sein. Folgt mir, meine lieben Kinder, und fangt von neuem an. Laßt geschehen sein und wendet eine neue Seite um in euerm Leben.«
Richard betrachtete Ada gespannt, sagte aber kein Wort.
»Ich habe bis jetzt vermieden, gegen euch beide oder gegen Esther eine Silbe darüber zu äußern, damit wir so offen wie der Tag sein und auf gleichem Fuß miteinander stehen können. Ich rate euch nun auf das innigste und bitte euch aufs eindringlichste, so voneinander zu scheiden, wie ihr hierher gekommen seid. Überlaßt alles übrige der Zeit, der Treue und der Standhaftigkeit. Wenn ihr anders handelt, tut ihr Unrecht und verflechtet mich mit in das Unrecht. Denn ich war es, der euch zusammengebracht hat.«
Eine lange Pause folgte.
»Richard«, sagte Ada und sah ihn mit ihren blauen Augen zärtlich an.
»Nach dem, was unser Vetter vorhin gesagt hat, bleibt uns, glaube ich, keine Wahl. Meinetwegen kannst du ganz ruhig sein, denn du läßt mich hier unter seiner Obhut zurück und kannst überzeugt sein, daß mir nichts zu wünschen bleibt, wenn ich mich nach seinem Rate richte. Ich –ich bezweifle nicht, Vetter Richard«, sagte Ada ein wenig verwirrt, »daß du mich sehr lieb hast, und ich – ich glaube nicht, daß du dich in eine andre verlieben wirst. Aber ich möchte doch, du überlegtest dir es ordentlich, da ich dich vor allem glücklich zu sehen wünsche. Auf mich kannst du vertrauen, Vetter Richard. Ich bin ganz und gar nicht flatterhafter Natur, aber auch nicht unverständig, und würde dich niemals tadeln. Selbst Verwandten kann es leid tun, voneinander scheiden zu müssen, und in Wahrheit tut es mir sehr, sehr leid, Richard, wenn ich auch weiß, daß es nur zu deinem Besten geschieht. Ich werde immer mit Liebe an dich denken und oft von dir mit Esther sprechen, und – und vielleicht wirst du auch manchmal ein klein wenig an mich denken, Vetter Richard. Also«, sagte Ada, trat zu ihm und reichte ihm ihre zitternde Hand, »jetzt sind wir wieder bloß Kusin und Kusine, Richard. Vielleicht bloß für jetzt – und ich bete um Gottes Segen für meinen lieben Vetter Richard, wohin er auch gehen mag.«
Es kam mir seltsam vor, daß Richard nie imstande war, meinem Vormund zu verzeihen, daß dieser ganz dieselbe Meinung von ihm hegte, der er mir gegenüber doch selbst in viel stärkerem Maße Worte gegeben hatte. Mit großem Bedauern bemerkte ich, daß er von dieser Stunde an nie wieder so frei und offen Mr. Jarndyce entgegenkam wie früher. Er hätte jede Ursache gehabt, es zu sein, aber er war es nicht, und eine einseitige Entfremdung griff zwischen ihnen Platz.
Über den Reisevorbereitungen und was damit zusammenhing vergaß er bald sich selbst und sogar seinen Schmerz, von Ada zu scheiden, die in Hertfordshire zurückblieb, während er, Mr. Jarndyce und ich uns für eine Woche nach London begaben. Dann und wann gedachte er ihrer allerdings mit heißen Tränen, und zu solchen Zeiten schüttete er mir sein Herz aus und überhäufte sich mit schwersten Selbstanklagen. Aber schon ein paar Minuten später wieder baute er sich Luftschlösser, in denen sie beide immer reich und glücklich und so fröhlich wie möglich werden sollten. Es war eine geschäftige Zeit, und ich lief mit ihm den ganzen Tag herum, um eine Menge Sachen zu kaufen, die er notwendig brauchte. Von all den Dingen, die er angeschafft haben würde, wenn man ihn sich selbst überlassen hätte, will ich gar nicht sprechen. Er war voll Vertrauen zu mir und sprach oft so vernünftig und gefühlvoll von seinen Fehlern und seinem festen Entschluß und schöpfte soviel Mut aus diesen Gesprächen, daß ich ihrer nie müde geworden wäre, auch wenn ich es versucht hätte.
In jener Woche kam außerordentlich häufig ein Mann zu uns, der früher Kavallerist gewesen, und erteilte Richard Fechtunterricht. Er war ein hübscher, kräftig aussehender Mensch von offenem, freiem Wesen. Richard hatte schon seit einigen Monaten Lektionen bei ihm genommen. Ich hörte soviel von ihm, nicht bloß von Richard, sondern auch von meinem Vormund, daß ich absichtlich eines Morgens nach dem Frühstück zu Hause blieb, als er kam.
»Guten Morgen, Mr. George«, begrüßte ihn mein Vormund, der gerade mit mir allein im Zimmer war. »Mr. Carstone kommt gleich. Unterdessen wird es Miß Summerson
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