Bleakhouse
aber sie bereitete ihm viel Sorge und Enttäuschung. Er und Richard waren oft noch spät abends und bereits früh morgens wieder miteinander eingeschlossen und verbrachten ganze Tage in London, hatten unzählige Zusammenkünfte mit Mr. Kenge und arbeiteten sich durch eine große Menge unangenehmer Geschäfte hindurch. Trotz alledem war mein Vormund, obgleich er sehr unter der Windrichtung litt und seinen Kopf so beständig rieb, daß kein einziges Haar auch nur einen Augenblick auf seiner rechten Stelle blieb, zu mir und Ada so freundlich wie immer, beobachtete aber über diese Angelegenheiten das strengste Stillschweigen, und da wir trotz angestrengtesten Bemühens aus Richard nur die allgemeine Versicherung herausbringen konnten, daß alles vortrefflich gehe und jetzt wirklich im richtigen Geleise sei, so wurden unsere Besorgnisse durch ihn nicht sehr vermindert.
Wir erfuhren im Verlauf der Zeit, daß man im Namen Richards, als Mündel oder als Unmündiger oder ich weiß nicht als was sonst, eine Eingabe an den Lordkanzler gemacht und lange hin- und hergeredet hatte und daß der Lordkanzler ihn in offener Gerichtssitzung ein beschwerliches und launisches Mündel genannt habe und daß man die Sache vertagte und wieder vertagte und weiter verwies und darüber Bericht erstattete und darum petitionieren ließ, bis Richard zu zweifeln anfing, wie er uns sagte, ob er, wenn er überhaupt je in die Armee eintreten könne, dann nicht ein Veteran von siebzig oder achtzig Jahren sein werde. Endlich lud ihn der Lordkanzler zu einer Besprechung in seinem Privatbureau ein und warf ihm dort ernstlich vor, daß er nicht wisse, was er wolle, und die Zeit vertrödle. »Ein wirklich guter Witz, wenn er aus solchem Munde kommt, sollte ich meinen«, sagte Richard.
Endlich wurde seine Eingabe bewilligt. Sein Name wurde im Armeekommando unter den Bewerbern um ein Fähnrichspatent bei der Garde eingeschrieben. Die Gebühr wurde deponiert, und Richard warf sich in seiner gewohnten charakteristischen Art mit Leidenschaft auf militärische Studien und stand jeden Morgen früh um fünf Uhr auf, um sich im Säbelfechten zu üben.
Ferienzeit folgte auf Gerichtssession und Gerichtssession auf Ferienzeit. Wir hörten manchmal vom Prozeß Jarndyce kontra Jarndyce, daß er auf der Liste stehe oder von der Liste gestrichen sei, daß er daran komme und auch daran kam und dann wieder vorbei war. Richard, der jetzt bei einem ihm Unterricht erteilenden Lehrer in London wohnte, konnte uns weniger häufig besuchen als früher. Mein Vormund beobachtete immer noch dieselbe Zurückhaltung, und so verging die Zeit, bis das Patent kam und Richard Ordre erhielt, sich zu seinem Regiment nach Irland zu begeben.
Er traf eines Abends mit dieser Nachricht in der größten Eile ein und hatte eine lange Konferenz mit meinem Vormund.
Über eine Stunde verging; dann steckte mein Vormund den Kopf in das Zimmer, wo Ada und ich saßen, und sagte: »Kommt einmal herein, liebe Kinder.« Wir traten ein und fanden Richard, den wir noch vor kurzem in bester Laune gesehen, mit gekränktem und erzürntem Gesicht am Kamin lehnen.
»Rick und ich, Ada«, erklärte uns Mr. Jarndyce, »sind nicht ganz einer Meinung. Komm, komm, Rick, mach ein freundlicheres Gesicht dazu.«
»Du bist sehr hart gegen mich«, sagte Richard. »Um so härter, als du doch in jeder andern Hinsicht so nachsichtig gewesen bist und für mich getan hast, was ich nie gebührend anerkennen kann. Ich wäre ohne dich nie in Ordnung gekommen.«
»Schon gut, schon gut«, sagte Mr. Jarndyce. »Ich möchte dich aber noch mehr in Ordnung bringen. Ich möchte dich mit dir selbst in Ordnung bringen.«
»Ich hoffe, du wirst entschuldigen, wenn ich sage, daß ich mir selbst das beste Urteil über mich zutraue«, erwiderte Richard sehr lebhaft, aber mit aller Ehrerbietung.
»Ich hoffe, du wirst entschuldigen, lieber Rick, wenn ich sage«, bemerkte Mr. Jarndyce mit größter Freundlichkeit und in bester Laune, »daß ich es ganz natürlich finde, wenn du dieser Meinung bist, daß ich aber anders denke. Ich muß meine Pflicht tun, Rick, sonst würdest du bei kaltem Blut keine gute Meinung von mir haben, und ich hoffe, du wirst stets gut von mir denken. Bei kaltem oder bei heißem Blut.«
Ada war so blaß geworden, daß er sie in seinen Lehnstuhl drückte und sich neben sie setzte.
»Es ist nichts, liebes Kind«, beruhigte er sie. »Es ist nichts. Rick und ich hatten nur in aller Freundschaft einen kleinen
Weitere Kostenlose Bücher