Bleakhouse
ihn, Tony.«
»Vielleicht nicht. Aber trotzdem gefällt es mir nicht. Wohne nur selbst einmal hier. Dir würde es auch nicht gefallen.«
»Was Tote betrifft, Tony«, belehrt Mr. Guppy, dem Vorschlag ausweichend, »so haben in den meisten Zimmern schon Tote gelegen.«
»Das weiß ich. Aber in den meisten Zimmern läßt man sie in Ruhe, und – sie lassen einen in Ruhe.«
Wieder blicken sich die beiden an. Mr. Guppy wirft eine Bemerkung hin, daß sie dem Verstorbenen vielleicht einen Dienst erweisen und daß er das hoffe. Dann entsteht eine bedrückende Pause. Plötzlich schürt Mr. Weevle das Feuer, und das macht Mr. Guppy auffahren, als hätte man statt in den Kohlen in seinem Herzen herumgerührt.
»Pfui! Da hängt noch mehr von diesem abscheulichen Ruß«, ruft er. »Wir wollen das Fenster ein bißchen aufmachen und einen Mund voll Luft schnappen. Es ist so dumpf hier.«
Er schiebt das Fenster in die Höhe, und beide setzen sich auf das Fensterbrett. Die Nachbarhäuser sind zu nahe, als daß man den Himmel sehen könnte, wenn man nicht den Hals verdrehen und die Wand des Hauses hinaufsehen will. Aber da und dort Lichtschimmer in trüben Fenstern, das Rollen ferner Wagen und das Bewußtsein, daß sich auf der Straße Menschen regen, machen ihnen das Herz etwas leichter. Mr. Guppy klopft geräuschlos auf das Fensterbrett und beginnt sein Flüstern in einem freieren, fast scherzhaften Ton von neuem.
»Übrigens, Tony, vergiß dich nicht dem alten Smallweed gegenüber.« Er meint damit den jungen Smallweed. »Du weißt, ich habe ihn in die Angelegenheit nicht eingeweiht. Sein Großvater ist mir schon gar zu schlau. Es liegt in der Familie.«
»Ich werde schon achtgeben«, brummt Tony. »Ich kenn mich schon
»Und was Krook betrifft, glaubst du wirklich, daß er noch andre Papiere von Wichtigkeit besitzt, wie er sich gegen dich gerühmt hat?«
Tony schüttelt den Kopf.
»Weiß ich nicht. Habe keine Ahnung. Wenn uns diese Sache gelingt, ohne seinen Verdacht zu erregen, werde ich es schon herausbringen. Wie kann ich's wissen, ohne sie gesehen zu haben! Er weiß es doch selbst nicht einmal. Er buchstabiert beständig Worte aus ihnen und malt sie auf den Tisch und die Wand und fragt, was das oder jenes heiße. Sein ganzer Vorrat kann von A bis Z recht gut die Makulatur sein, für die er ihn gekauft hat. Es ist eine seiner fixen Ideen, zu glauben, er besitze Dokumente. Nach dem, was er mir gesagt hat, scheint er sie das ganze letzte Vierteljahrhundert zu lesen versucht zu haben.«
»Wie mag er nur auf solche Gedanken gekommen sein?« fragt Mr. Guppy und schließt grübelnd ein Auge. »Vielleicht hat er unter Dingen, die er zusammengekauft hat, versteckte Papiere gefunden und daraus in seiner Schlauheit geschlossen, sie besäßen einen Wert.«
»Oder man hat ihn bei diesen anscheinend guten Geschäften hintergangen. Oder er ist bei dem langen Grübeln darüber oder vom Trinken und dem ewigen Herumlungern im Gerichtshof und dem beständigen Redenhören von Dokumenten verrückt geworden«, wendet Mr. Weevle ein.
Guppy sitzt auf dem Fensterbrett, nickt mit dem Kopf und wägt alle diese Wahrscheinlichkeiten im Geiste ab. Dann fährt er fort, gedankenvoll auf das Fensterbrett zu klopfen, und mißt es nach allen Richtungen zerstreut mit den Fingern ab. Plötzlich zieht er hastig die Hand zurück:
»Zum Teufel, was ist das? Schau nur!«
Ein zäher gelber Saft befleckt seine Finger, widerlich fett, widerlich anzusehen und noch widerlicher riechend. Ein klebriges ekelhaftes Öl, das beide schaudern macht.
»Was hast du hier ausgegossen? Was hast du denn aus dem Fenster geschüttet?«
»Ich, aus dem Fenster geschüttet? Nichts. Ich schwöre dir. Nichts, seit ich hier bin.«
»Und schau nur, hier... Und da.« Weevle bringt das Licht.
Langsam träufelt und kriecht die Flüssigkeit an der Ecke des Fensterbrettes die Ziegel hinunter und bildet im Zimmer eine kleine dicke ekelhafte Pfütze.
»Das ist ein gräßliches Haus«, ächzt Mr. Guppy und schließt das Fenster. »Gib mir Wasser, oder ich schneide mir die Hand ab.«
Er wäscht und reibt und schabt, riecht an den Fingern, versucht, sich mit einem Glas Branntwein zu stärken, und wäscht sich immer noch schweigend am Kamin, als die St. Paulskirche zwölf schlägt und all die andern Glocken in ihren Türmen in der dunkeln Luft mit ihren vielfach verschiednen Klängen einfallen. Als alles wieder ruhig ist, sagt Jobling:
»Es ist die bestimmte Stunde. Soll ich
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