Bleakhouse
noch mit sichtlichem Ekel seinen Rockärmel, während sie vor dem Feuer ihr Gespräch fortsetzen und die Köpfe zusammenstecken, »bei dieser Gelegenheit sagte er dir also, daß er die Briefe aus dem Mantelsack des Verstorbenen genommen habe?«
»Ja, bei dieser Gelegenheit«, antwortet Tony und kämmt sich seinen Backenbart mit den Fingern. »Worauf ich meinem lieben Freunde, Seiner Hochwohlgeboren William Guppy, ein paar Zeilen schrieb, mit der Nachricht, sich heute hier einzufinden, und zwar vorsichtig, denn der alte Popanz sei ein Schlaufuchs.«
Der leichte fashionable Konversationston, den Mr. Weevle gern anzunehmen pflegt, liegt ihm diese Nacht so wenig, daß er ihn und die Pflege seines Backenbarts ganz und gar aufgibt, scheu über die Achsel blickt und wieder eine Beute banger Schrecken zu sein scheint.
»Und du sollst die Briefe auf deine Stube nehmen, um sie zu lesen und zu vergleichen? Du willst mir dann alles mitteilen, was drin steht? Das haben wir doch vereinbart, nicht wahr, Tony?« fragt Mr. Guppy und zerkaut aufgeregt seine Daumennägel.
»Du kannst nicht leise genug sprechen! Ja, das haben wir vereinbart.«
»Ich will dir was sagen, Tony.«
»Du kannst nicht leise genug sprechen«, mahnt Tony noch einmal.
Mr. Guppy nickt weise. Sie stecken die Köpfe wieder zusammen und flüstern.
»Ich will dir was sagen, Tony. Das erste, was wir zu tun haben, ist, die Briefe genau nachzumachen, so daß du ihm, wenn er es etwa verlangen sollte, die falschen zeigen kannst, solange die echten in meinem Besitz sind.«
»Und angenommen, er erkennt die nachgemachten, was bei seinem verwünschten Scharfblick fünfhundert gegen eins wahrscheinlich ist?« wirft Tony ein.
»Dann müssen wir es eben darauf ankommen lassen. Sie gehören ihm nicht und haben ihm nie gehört. Du hast das entdeckt, verstanden, und sie der Sicherheit wegen in meine Hände als die einer juristischen Vertrauensperson gelegt. Wenn er uns dazu zwingt, können wir sie ja bei Gericht deponieren, nicht wahr?«
»Hm, ja«, gibt Mr. Weevle widerwillig zu.
»Aber Tony, was du für ein Gesicht machst! Du zweifelst doch nicht am Ende an William Guppy? Es ist doch nichts Schlimmes dabei«, hält ihm sein Freund vor.
»Ich argwöhne nicht mehr, als ich weiß, William«, entgegnet Jobling ernst.
»Und was weißt du?«, dringt Mr. Guppy mit etwas lauterer Stimme in ihn. Aber da sein Freund ihn abermals warnt: »Ich sage dir doch, du kannst nicht leise genug sprechen«, wiederholt er seine Frage ganz tonlos: »Was weißt du?«
»Ich weiß dreierlei. Erstens weiß ich, daß wir hier geheimnisvoll miteinander flüstern wie ein paar Verschwörer.«
»Gut«, gibt Mr. Guppy zu. »Besser, wir sind ein paar Verschwörer als ein paar Dummköpfe. Und das wären wir, wenn wir etwas andres täten. Es ist der einzige Weg, das zu erreichen, was wir wollen. Und zweitens?«
»Zweitens ist es mir nicht klar, welchen Nutzen die Sache abwerfen soll.«
Mr. Guppy läßt seine Augen über das Porträt der Lady Dedlock über dem Kaminsims gleiten und gibt zur Antwort: »Das, Tony, muß ich dich bitten, der Ehrenhaftigkeit deines Freundes zu überlassen. Abgesehen davon, daß du nicht an gewisse Saiten zu rühren brauchst, quälerischerweise, so ist dein Freund doch kein Dummkopf... Ha, was ist das?«
»Elf Uhr schlägt es von der St. Paulskirche. Horch, gleich werden alle Glocken in der City läuten.«
Beide sitzen schweigend da und lauschen den metallenen Stimmen, die in der Nähe und aus der Ferne und von den Türmen herab erklingen. Als sie endlich verstummen, scheint alles nur noch geheimnisvoller als vorher. Eine unangenehme Folge des Flüsterns im allgemeinen ist, daß es eine eigenartige Atmosphäre des Schweigens zu erzeugen scheint, belebt von den Gespenstern des Schalles, von seltsamem Knarren und Klopfen, dem Rauschen wesenloser Kleider und dem Tritt grauenvoller Füße, die auf Ufersand oder Winterschnee keine Spur zurücklassen könnten. Für solche Eindrücke sind die beiden Freunde heute empfänglich. Die Luft ist voll von Phantomen, und die beiden sehen sich wie auf Verabredung um, ob die Tür auch wirklich geschlossen ist.
»Ja, Tony«, sagt Mr. Guppy, rückt dem Feuer näher und kaut ruhelos an seinem Daumennagel. »Du wolltest sagen: Drittens!«
»Drittens ist es nichts weniger als angenehm, gegen einen Toten in dem Zimmer, wo er gestorben ist, zu konspirieren, zumal, wenn man zufällig darin wohnt.«
»Aber wir konspirieren doch nicht gegen
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