Bleakhouse
ich natürlich nicht: kann; nichts steht so außer aller Frage wie das. Daher gebietet die Freundschaft, fernzubleiben, und das werde ich auch tun.«
Er schloß, indem er mit Wärme meine Hand küßte und mir dankte. Nur Miß Summersons feinem Takt, sagte er, verdanke er, darauf aufmerksam geworden zu sein.
Ich war sehr in Verlegenheit, tröstete mich aber mit dem Gedanken, daß, wenn nur der Hauptzweck erreicht sei, es wenig darauf ankomme, welch seltsam verdrehter logischer Denkschlüsse sich Mr. Skimpole bediene. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, noch etwas zur Sprache zu bringen, und dachte, wenigstens in diesem Punkte nicht schachmatt gesetzt werden zu können.
»Mr. Skimpole«, sagte ich, »ehe ich meinen Besuch beendige, muß ich mir noch die Freiheit nehmen, Ihnen zu sagen, daß ich zu meinem größten Erstaunen vor kurzem aus zuverlässigem Munde erfahren habe, daß Sie wußten, mit wem jener arme Knabe von Bleakhaus wegging, und daß Sie bei dieser Gelegenheit ein Geschenk angenommen haben. Ich habe meinem Vormund nichts davon gesagt, weil ich fürchtete, ihm unnötigerweise weh zu tun, aber Ihnen kann ich ja sagen, daß ich mich sehr darüber gewundert habe.«
»O? Wirklich gewundert, meine liebe Miß Summerson?« entgegnete er und zog lächelnd die Augenbrauen in die Höhe.
»Höchlichst gewundert.«
Er dachte mit einem höchst freundlichen Gesicht eine kleine Weile nach, gab es aber dann auf und sagte in seiner gewinnendsten Weise:
»Sie wissen, was für ein Kind ich bin. Warum gewundert?«
Ich ging ungern näher auf die Frage ein, aber da er mich darum bat und wirklich neugierig auf meine Antwort zu sein schien, gab ich ihm mit den zartesten Worten, die ich finden konnte, zu verstehen, daß er durch sein Benehmen seine moralischen Verpflichtungen verletzt habe. Dies zu hören, ergötzte und interessierte ihn höchlichst, und er sagte mit wahrhaft kindlicher Einfalt: »Oh, wirklich?«
»Sie wissen, mir geht der Sinn für Verantwortlichkeit vollständig ab. Verantwortlichkeit ist etwas, das immer für mich zu hoch – oder zu niedrig gewesen ist«, sagte er. »Ich weiß nicht einmal, was von beiden; aber wenn ich den Standpunkt recht verstehe, von dem aus meine liebe Miß Summerson, die ich stets wegen ihrer praktischen Einsicht und Klarheit bewundere, den Fall beurteilt, möchte ich denken, es drehe sich hauptsächlich um die Geldfrage, nicht wahr?«
Unvorsichtigerweise stimmte ich bei.
»Ah! Dann müssen Sie aber selbst einsehen, daß ich es ganz unmöglich begreifen kann.«
Als ich aufstand, um zu gehen, gab ich ihm noch zu verstehen, daß es überdies unrecht sei, das Vertrauen meines Vormundes um eine Bestechungssumme zu mißbrauchen.
»Meine liebe Miß Summerson«, entgegnete er mit der heiteren Offenherzigkeit, die ihm eigen war, »ich kann nicht bestochen werden.«
»Auch nicht von Mr. Bucket?«
»Nein. Von niemandem. Ich lege doch nicht den mindesten Wert auf Geld! Ich kümmere mich nicht darum, ich verstehe nichts davon, ich brauche keins, ich behalte keins, – es schwindet mir unter der Hand weg. Wie kann ich da bestochen werden?«
Ich ließ ihn merken, daß ich andrer Meinung sei, wenn ich auch nicht die Fähigkeit besäße, über die Sache zu disputieren.
»Im Gegenteil«, fuhr er fort, »ich bin gerade der Mann, der in einem solchen Falle höher als andre steht. Ich stehe in einem solchen Falle über der Menschheit. Ich kann in einem solchen Falle als Philosoph handeln. Ich bin nicht in Vorurteile eingeschnürt wie ein italienischer Säugling in seine Windeln. Ich bin so frei wie die Luft. Ich fühle, daß ich so hoch über jedem Verdacht stehe wie Cäsars Frau.«
– So etwas wie die naive Unbefangenheit seines Wesens und die spielerische Unparteilichkeit, mit der er sich selbst zu überzeugen schien und die Frage wie einen Federball hin und her warf, war gewiß noch nicht dagewesen. –
»Fassen Sie den Fall wohl ins Auge, meine liebe Miß Summerson. Die Sache liegt so: Ein Knabe wird in einem Zustande, gegen den ich äußerst viel einzuwenden habe, in das Haus aufgenommen und zu Bett gebracht. Kaum ist das geschehen, steht plötzlich ein Mann da – wie ein Pilz aus dem Boden geschossen. Der Mann wünscht über den Knaben, gegen dessen Gesundheitszustand ich ausnehmend viel einzuwenden habe und der in das Haus aufgenommen und zu Bett gebracht worden ist, Näheres zu wissen. Er zieht eine Banknote hervor, und Skimpole nimmt sie an. Das sind die Tatsachen. Sehr gut.
Weitere Kostenlose Bücher