Bleakhouse
Rick.«
»Ich auch nicht, Sir.«
»Also gut«, bemerkte Mr. Kenge. »Also zur Sache. Haben Sie diesbezüglich besondere Wünsche?«
»N-nein«, antwortete Richard.
»Also gut.«
»Ich hätte nur gern ein wenig Abwechslung, ich meine, genügend Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln.«
»Allerdings sehr wünschenswert«, stimmte Mr. Kenge zu. »Ich glaube, dies ließe sich leicht machen, Mr. Jarndyce? Wir haben vor allen Dingen einen geeigneten Chirurgen ausfindig zu machen, und wenn wir darauf hingewiesen haben, daß wir eine gewisse Summe als Lehrgeld zu zahlen bereit sind - nicht wahr, Mr. Jarndyce? –, wird unsre einzige Schwierigkeit sein, eine entsprechende Auswahl zu treffen. Dann bleiben uns nur noch die kleinen Formalitäten zu beobachten übrig, die durch unser Alter und den Umstand, daß wir unter der Vormundschaft des Kanzleigerichts stehen, bedingt sind. Wir werden bald – wenn ich mich Mr. Richards eigner leichtherziger Worte bedienen darf – die Sache angehen, und unser Herzenswunsch ist befriedigt... Es ist ein merkwürdiger Zufall«, fügte Mr. Kenge mit einem Anflug von Melancholie hinzu, »einer jener Zufälle, die unsre irdischen, so beschränkten menschlichen Fähigkeiten nicht erklären können, daß ich selbst einen Vetter habe, der Mediziner ist. Vielleicht paßt er für Sie und ist geneigt, auf Ihren Vorschlag einzugehen. Ich kann für ihn so wenig stehen wie für Sie, aber vielleicht ist er der richtige.«
Da dadurch die Sache in greifbare Nähe rückte, kam man überein, Mr. Kenge solle mit seinem Vetter reden.
Mr. Jarndyce hatte uns schon früher vorgeschlagen, auf ein paar Wochen nach London zu gehen, und so wurde am nächsten Tag beschlossen, die Reise so bald wie möglich anzutreten.
Mr. Boythorn verließ uns innerhalb der nächsten acht Tage, und wir schlugen unser Quartier in einer reizenden Wohnung in der Nähe von Oxfordstreet über dem Laden eines Möbelhändlers auf.
London erschien uns wie ein großes Wunder, und wir waren jeden Tag stundenlang unterwegs, um uns die Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, die weniger leicht zu erschöpfen waren als wir selbst. Wir machten auch mit großem Genuß durch alle größeren Theater und sehenswerten Stücke die Runde. Ich erwähne es, weil es im Theater war, wo Mr. Guppy mich wieder zu belästigen anfing.
Ich saß eines Abends mit Ada vorn in einer Loge, und Richard hatte, wie er es gerne tat, sich hinter sie gesetzt, als ich zufällig unten im Parterre Mr. Guppy erkannte, der, das Haar in die Stirn gebürstet, mit einer Miene unsäglichen Leides zu mir emporblickte.
Ich fühlte das ganze Stück hindurch, daß er immer nur auf mich statt auf die Schauspieler sah, und zwar beständig mit einem offenbar sorgfältig einstudierten Ausdruck tiefsten Schmerzes und äußerster Niedergeschlagenheit.
Der Vorfall verdarb mir für den Abend die ganze Freude, da er mich natürlich in Verlegenheit setzte und gar so lächerlich war; aber nicht genug daran, von diesem Tag an konnten wir nie mehr ins Theater gehen, ohne daß nicht Mr. Guppy im Parterre auftauchte, immer mit zerrauftem Haar, aufgeschlagnem Kragen und deutlich zur Schau getragner Hinfälligkeit. Wenn er bei unserm Eintreten noch nicht da war und ich bereits zu hoffen anfing, er werde dies Mal nicht kommen, und mich für kurze Zeit ganz der Darstellung zuwendete, konnte ich sicher sein, seinen schmachtenden Augen zu begegnen, wo ich es am wenigsten erwartete, und sie von der Zeit an den ganzen Abend nicht mehr los zu werden.
Ich kann gar nicht sagen, wie mich das verstimmte. Wenn er sich nur das Haar melancholisch gekämmt oder den Kragen aufgeschlagen hätte, so wäre es schon schlimm genug gewesen, aber das Bewußtsein, daß dieser lächerliche Mensch mich immer anstarrte und stets mit einer gewissen theatralischen Verzweiflung, machte mich derart beklommen, daß ich mich gar nicht mehr getraute, über das Stück zu lachen oder mich ergriffen zu fühlen, darüber zu sprechen –, mich auch nur zu bewegen.
Ich verlor förmlich die Fähigkeit, mich natürlich zu benehmen. Ich hätte mich vor Mr. Guppy retten können, wenn ich mich in den Hintergrund der Loge gesetzt hätte, aber dazu konnte ich mich nicht entschließen, weil ich wußte, wie sehr es Ada und Richard in ihrer Unterhaltung gestört haben würde, wenn ein Fremder neben ihnen zu sitzen gekommen wäre.
So saß ich denn da und wußte nicht, wohin schauen – denn wohin ich immer blickte, ich fühlte, daß mir Mr.
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