Bleeding Violet - Niemals war Wahnsinn so verfuehrerisch
dampfenden Teller.
Sie schluckte zögernd einen Löffel voll und entspannte sich. »Dein Vater hat mir mal ein Bärenfleischsandwich gemacht. Seitdem stehe ich der finnischen Küche eher misstrauisch gegenüber.«
»Was hast du gegen Bärenfleischsandwiches?«, fragte ich neugierig.
Sie sah mich lange an. »Ab jetzt koche ich .«
Falls sie sich streiten wollte, war sie bei mir an der falschen Adresse. Ich konnte gar nicht glauben, dass sie freiwillig angeboten hatte, etwas so Häusliches überhaupt erst zu tun. Am ersten Tag hatte sie mir noch Milch und Kekse gegeben, aber seitdem war ich mir selbst überlassen.
»Was hast du eigentlich die ganze Zeit für einen Krach gemacht?«, fragte sie.
»Ich hab nur mein Zimmer fertig eingerichtet«, sagte ich und hopste unruhig auf meinem Stuhl herum. »Ich hab mir den Schrank aus deinem Arbeitszimmer geliehen, weil ich keinen eigenen habe, aber sonst passen alle meine Möbel perfekt rein, sogar die Nähmaschine. Ganz so, als wäre der Raum für mich gemacht.«
»Er wurde aber nicht für dich gemacht. Gewöhn dich bloß nicht zu sehr an den Raum.«
»Du hast gesagt, ich kann bleiben.«
»Zwei Wochen, und das ist …« Ihr Löffel fiel zu Boden. »Du hast dir meinen Schrank genommen?«
»Irgendwo musste ich doch meine Kleider reintun.«
»Aber alle meine Bücher waren in dem Schrank!«
»Hab ich gemerkt.« Hunderte von Büchern, manche auf Deutsch und Holländisch, und endlose Stapel gebundener Manuskripte hatte sie in den Schrank gestopft. Ich war klatschnass geschwitzt gewesen, nachdem ich sie alle ausgeräumt hatte.
»Ich habe sie alle feinsäuberlich auf dem Boden gestapelt«, sagte ich, damit sie nicht dachte, ich sei schlampig.
Rosalee stieß sich vom Tisch ab. Die Stuhlbeine quietschten fies auf den Küchenfliesen. Ich dachte, sie würde in ihr Arbeitszimmer gehen, um zu sehen, was ich mit ihren Büchern gemacht hatte, aber sie ging rauf in mein Zimmer und machte eine langsame 360-Grad-Drehung.
»Warum ist alles lila ?«
»Das war Poppas Lieblingsfarbe.«
»Du hast meinen Schrank lila angestrichen!«
»Sonst hätte er farblich nicht reingepasst.« Ich kam mir vor, als hätte ich ihre beste Freundin umgebracht. »Warum essen wir nicht einfach in Ruhe unseren Eintopf auf, hm? Bevor er kalt wird?« Mir war alles recht, um sie aus meinem Zimmer zu bekommen, bevor sie mir den Schrank wieder abnahm. Und verdammt noch mal, ich hatte vierzig Minuten gebraucht, um das blöde Ding die Treppe raufzubekommen. Ich hatte mir diesen Schrank verdient .
Rosalee, die aussah wie die einzige Überlebende eines Zug-unglücks, folgte mir die Stufen runter. Ich wollte sie an die Hand nehmen, aber sie ließ sich nicht von mir anfassen. Sie wirkte fast schüchtern, als sie ihre Hände unter die Achseln schob, um sie dort zu verstecken. Sie war wie der Mond – ein Teil von ihr war immer verborgen.
Sie setzte sich an den Tisch und starrte in ihre löffellose Suppe.
»Nimm meinen.« Ich gab ihr meinen Löffel und stand auf, um mir einen neuen zu holen. Ein Schauer durchfuhr mich, als ich sah, wie sie meinen Löffel in den Mund nahm, als ich sah, wie sie meine Keime verschluckte, als wären sie alte Freunde.
»Hat es dir wenigstens gefallen?«, fragte ich, als ich mich wieder setzte.
»Was hat mir gefallen?«
»Mein Zimmer. Der Aufbau. Das Design.«
»Es ist fantastisch!«
»Danke«, sagte ich und ignorierte ihren Sarkasmus. Ich zeigte auf ihre Kücheneinrichtung. »Mir ist aufgefallen, dass du den skandinavischen Stil magst. Ich auch.«
»Du bist skandinavisch.«
»Dann musst du mich wohl auch mögen.«
Ich bereute sofort, dass ich mich so bereitwillig in eine Position manövriert hatte, die nach einer vernichtenden Herabsetzung schrie. Aber Rosalee sagte nichts Gemeines. Sie sagte gar nichts. Kaute nur und sagte nicht Nein. Sie sagte nicht Ja, … aber sie sagte auch nicht Nein.
9
Petra lernte ich am Freitag kennen. Sie drängte mich vor dem ersten Klingeln an meinem Spind in die Ecke. Petra van den Berg war komplett schwarz gekleidet – wie auch sonst? –, und ein silberner Schlüssel, genau wie der von Rosalee, baumelte von einer langen, dünnen Halskette. Blond, hübsch und rappeldürr. Ich war mir nicht sicher, ob sie so abgemagert war, weil sie kürzlich krank war oder weil es Mode war.
Ich vermutete, dass sie es mir unbedingt zeigen wollte, ein Lass-die-Finger-von-meinem-Kerl-Riesentheater. Wenn dem so war, musste sie wohl alleine auf die Bühne.
Theater
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